Teil 1. Rezension
Dieser Roman spielt im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in Wien und erzählt basierend auf einer historischen Begebenheit das Zusammentreffen von Franz Anton Mesmer (1734–1815) und Maria Theresia Paradis (1759–1824), der Tochter eines Wiener Hofbeamten. Beide verbindet ihre Berühmtheit. Der Arzt Mesmer macht durch seine Magnettherapie und seiner Abkehr von der hergebrachten Schulmedizin von sich Reden. Maria Theresia Paradis begeistert die Wiener Gesellschaft durch ihr virtuoses Klavierspiel. Vor allem hat sie die Kaiserin von ihrem Talent überzeugt, die der erblindeten Musikerin, eine Leibrente gewährt. Eine nicht unerhebliche Gnade und Einnahme für die Familie, sind doch die Aussichten für die begabte Tochter eine eheliche Verbindung zu finden gering, nicht nur wegen ihrer Blindheit, sondern vor allem wegen ihres Erfolges.
Trotzdem sucht ihr Vater, nach etlichen vergeblich verlaufenden ärztlichen Behandlungen, bei Mesmer um Heilung für Resi (Vorname bei den Eltern) nach. Es kommt zu einer ersten Begegnung, während dieser erkennt Mesmer sehr schnell, daß Maria (so nennt Mesmer sie) nur mit Abstand zum elterlichen Haus therapiert werden kann. Sie kommt in das Haus seiner Frau, Anna Maria von Posch. Diese hat den um einige Jahre jüngeren Mesmer nach dem Tode ihres Mannes geheiratet und finanziert ihm seine Forschungen.
In diesem Magnethospital befindet sich neben weiteren Patienten auch das größte Therapieinstrument, der magnetische Zuber. Als weiteres Therapeutikum spielt die Musik im Roman eine große Rolle. Nicht nur im Klavierspiel der Maria Paradis tritt sie auf. Mesmer musiziert mit einer Glasharmonika, die seine Zuhörer in tranceartige Zustände zu versetzen vermag. Am Magnetischen Zuber begleitet ein kleines Kammerensemble die Schwingungen, welche die Patienten in fast orgiastische Ekstase versetzen. Schließlich tritt sogar das Musikgenie dieser Zeit, Wolfgang Amadeus Mozart, auf.
Im Laufe weniger Wochen, die Zeitspanne wird in den Kapitelüberschriften berichtsartig angegeben, gelingt es Mesmer mit großer Empathie in Gesprächen das Vertrauen Marias zu gewinnen. Er stärkt ihre Zuversicht, das Sehen wiedererlangen zu können. Als der Heilerfolg schließlich erreicht ist, scheint es jedoch, daß das wiedergewonnene Augenlicht ihre Virtuosität im Klavierspiel beeinträchtigt.
Resi verlässt das Hospital und vor allem Mesmer, sie ist wieder dem Einfluss der Eltern ausgesetzt. Ein Vorspiel bei der Kaiserin misslingt.
Mesmer sieht sich mehr und mehr dem schon lange bestehendem Gerücht der Scharlatanerie ausgesetzt. Seine Hoffnung durch eine Heilung der von der Kaiserin protegierten Maria seinen Ruf zu festigen, anerkannt zu werden und vielleicht sogar eine Schule für seine Therapie eröffnen zu können, schwindet.
Zudem breiten sich Vorwürfe eines sexuellen Verhältnisses mit seiner Patientin aus.
Er flieht aus Wien nach Paris, wo er nach einigen Jahren wieder mit Maria Paradis zusammentrifft. Bei diesem Wiederfinden spielt ein Hund eine große Rolle, ein schwarzer Hund, Mesmers Hund, der eigentlich die dritte Hauptperson des Buches ist und als Cotherapeut eine nicht unwesentliche Vermittlerrolle zwischen Franz Anton und Maria spielt.
Für mich ist dieses Buch in erster Linie ein Therapieroman. Neben seiner Magnetkur versucht sein Erfinder vor allem durch Gespräche Zugang zu seiner Patientin zu gewinnen, gleichsam eine frühe Form der Gesprächstherapie, und er erkennt, dass psychische Blockaden die junge Frau am Sehen hindern, ohne diese natürlich so zu benennen. Das Beisein des Tieres als beruhigendes und auch vermittelndes Element, sowie der bewusste Einsatz von Musik können als weitere, sehr modern wirkende Bestandteile einer Therapie gewertet werden.
Wenn Alissa Walser beschreibt wie Mesmer versucht, die animalischen Magnetkräfte zwischen sich und seiner Patientin zu aktivieren, so wirkt dies manchmal auch erotisch. Natürlich bleibt vieles eher dezent in der Andeutung. Das Wichtigste scheint unausgesprochen zwischen den Zeilen mit zu schwingen und findet im halboffenem Ende seinen Abschluss.
Tatsächlich wurden Mesmer vor allem von seinen Gegnern sexuelle Übergriffe auf seine Patienten insbesondere auf die attraktive Maria Theresia nachgesagt. Diese Spekulationen lässt Alissa Walser nur am Rande auftauchen.
Sehr gefallen hat mir die dezente Kritik an der Frauenrolle, die sich in der Beurteilung ganz profaner Dinge, wie der unbequemen und hinderlichen Kleidung und Haartracht findet, aber auch in der Wertung der Bildungschancen. Sogar Herr Mozart kommt diesbezüglich zu Wort, er hat seinen kleinen Auftritt natürlich nicht ohne Klavier.
Den eigentlichen Kern bildet jedoch das Gefühl, in all” seinen negativen und positiven Ausprägungen. Angst vor Autoritäten, Krankheiten, Behandlungen, Versagensängste, Machtverlust, Ekel. Besonders die positiven Empfindungen, Zuneigung, Empathie, Liebe werden stark mit der Musik verbunden.
Mir hat der Roman gut gefallen und ich würde ihn denjenigen empfehlen, die gerne auf historischem Stoff basierende Romanliteratur lesen. Überflüssig zu erwähnen, dass damit natürlich nicht die üblichen Historienromane gemeint sind, denn Mord und Totschlag, Histosex, Schwer- bis Todgeburten fehlen, nur eine Schwangerschaft darf sich andeuten.
Hört sich spannend an 🙂 Interessant ist das mit den Magneten vor allem wenn man bedenkt, dass es in der Behandlung von psychischen Störungen mittlerweile die so genannte rTMS (repetetive Transkranielle Magnet Stimulation) gibt, welche sich positiv bei Psychosen, Depressionen uvm. (u.a. auch Tinnitus) auswirkt.. Muss noch näher erforscht werden, aber vielleicht war Mesmer damals ja gar nicht so sehr auf dem Holzweg, wie man meinen mag 😉 (Einsatz von Musik, Tieren, Familientherapie usw. ist ja auf jeden Fall auch topmodern). Werde den Titel mal im Kopf behalten 🙂
Hallo ShinjiNGE,
ein interessanter Kommentar und der erste auf dieser Seite noch dazu. 😉
rTMS war mir bislang völlig unbekannt. Ob Mesmer sie gut heißen würde, entzieht sich vollkommen meiner Kenntnis.
Allerdings war seine Methode nach der Darstellung in Walsers Roman überhaupt kein Holzweg, sondern tatsächlich eine psychische Stabilisierung für seine Patienten. Allerdings nehme ich lediglich den Roman als meine Interpretationsbasis, ich bin schließlich kein Mesmerianer. Diese gibt es auch heute noch als sehr überzeugte Anhänger.
Liebe Atalante,
mit Vergnügen habe ich gerade Deine Bemerkungen zu dem Buch gelesen, das ich gerade ausgelesen habe. Hat mir auch gut gefallen. Vielen Dank auch für die erhellenden Zusatzinformationen!
Und viel Erfolg mit dieser Seite — ich werde sie im Auge behalten.
Gruß
Gaudenta
Hallo Gaudenta,
welcher Aspekt des Romans hat Dir besonders gefallen, Musik, Therapie oder Sympathie? Oder würdest Du gar nichts hervorheben wollen?
Hallo Atalante,
wahrscheinlich bin ich jetzt im falschen Thread gelandet, aber dennoch: alles Gute für diese schöne Site. Ich werde das weiter verfolgen.
Gruß — steinziege
Hallo Steinziege,
gute Wünsche sind überall richtig.
Danke!