In „Der gewöhnliche Mensch“ erzählt Lena Andersson Gesellschaftsgeschichte als Individualgeschichte
„Er ging hinaus in den Werkraum, um sauber zu machen, und fühlte sich einsam, während er dort stand und das Werkzeug zurück an die richtigen Haken hängte. Er hatte die Stimmung verdorben, und es war an ihm, alles wiedergutzumachen. Er hatte nicht darum gebeten, so viel Macht zu haben. Die Familie begriff nicht, wie machtlos er sich fühlte, wie tief ihn seine Angst vor der Welt durchdrang, in der sie alle vier lebten und er nichts anderes wollte, als dass seine Kinder nicht vom Weg abkamen. Er versuchte die Fallgruben aufzuzeigen, ihnen rechtzeitig klarzumachen, dass es für normale Menschen keinen Spielraum zum Trödeln und für Neuanfänge gab.“
Wer kennt nicht so eine*n? Gerechtigkeit und Korrektheit stehen bei ihm an erster Stelle. Alles wird reguliert und reglementiert. Er trinkt nicht, isst gesund, fährt nie weg und gibt kaum Geld aus. Sein Hang zur Askese zeigt sich jedoch nicht nur im Konsum, sondern auch im Denken, das durch innere Selbstkontrolle auf engsten Bahnen verläuft. Ein solches Leben verkörpert das pietistische Ideal des Schmalen Wegs. Steil und steinig führt er auf den Andachtsbildern ganz nach oben, wo die Folgsamen im Himmel das erhoffen, was sie sich auf Erden versagen. Andere finden auf bequemeren Pfaden Lust, Genuss und Freude. Es mag sein, daß sie das pietistische Paradies nie erreichen, doch wie heißt es so schön, der Weg ist das Ziel.
Ragnar Johansson, der Held in Lena Anderssons neuem Roman „Der gewöhnliche Mensch“ lebt, obschon als schwedischer Sozialdemokrat atheistisch, die karge Variante. Am Beispiel dieses Zeitgenossen liest die zwischen Mitleid und Abneigung schwankende Leserin eine Chronik der „Streben nach Selbstgeißelung“ weiterlesen