Skippy stirbt, eine Internats- und Gesellschaftskritik von Paul Murray
Zu diesem Buch, welches der Kunstmann-Verlag in einer bibliographisch aufwendig gestalteten Ausgabe editiert hat, habe ich mich von einem begeisterten Büchervogel überreden lassen, denn Erlebnisse pubertärer Internatsinsassen sind nicht unbedingt mein Metier. Das fiel mir schon bei Tschick auf, der sich geradezu locker runter lesen lässt, was man von dem 780 Seiten starken Schwergewicht Paul Murrays, der die Träume und Albträume seiner Protagonisten auf drastische Weise schildert, schwerlich sagen kann. Der Roman wird zwar mancherorten als äußerst kurzweilig gelobt, für meinen Geschmack weist er jedoch deutliche Längen auf.
Die Geschichte spielt in einem katholischen Internat Dublins zu Zeiten der Finanzkrise. Die Schülerschaft spiegelt das übliche Bild männlicher Jugendlicher während das Lehrerkollegium ältere Priestern und halbherziges Personal aufweist. Einer seiner jüngeren, weltlichen Mitglieder ist der ehemalige Banker Howard. Aus seinem alten Job gefeuert, unterrichtet er nun an seiner einstigen Schule Geschichte. Es gelingt ihm kaum sich und seine Themen durchzusetzen, woran nicht nur der vermeintlich dröge Stoff und seine uninspirierte Vermittlung, sondern auch sein Ruf als „Howard the Coward“, Howard Hasenherz, zählt. Wie er zu diesem Spottnamen kam, erschließt sich im Lauf des Romans. Erst als Howard von einer schönen Fee, einer ebenfalls aus dem Bankenmilieu in die Schule geratenen attraktiven Aushilfskraft, einen entscheidenden Lektüretipp erhält, erfahren sowohl er wie die Schüler einen Motivationsschub.
Von den Schüler, die alle von Pubertätsnöten geplagt werden, leidet der traurige Skippy besonders. Traumatisiert durch die schwere Krankheit seiner Mutter herrschen zwischen ihm und seinem Vater Sprachlosigkeit. Nöte, die die Lehrer nicht erkennen können, weil sie zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt sind. So sind auch all die anderen Jungs auf sich alleine gestellt, das dicke Genie, der Minimacho italienischer Abstammung, die ritalinverseuchten Unterstufenschüler, die sozial benachteiligten Pausenhofdealer. Ihre weiblichen Altersgenossen in der vis-à-vis gelegenen Nonnenschule haben es nicht leichter. Sie hadern mit ihrem Äußeren bis zur Magersucht, sind sexuellem Druck ausgesetzt, intrigieren gegeneinander. Auch sie finden bei den Erwachsenen keinen Halt.
Paul Murray, dessen Roman mit dem Tod seines Helden einsetzt, erzählt nicht nur dessen Martyrien, zu denen auch eine Lovestory gehört, sondern er schildert vor allem ein Drama von Gruppenzwang, Schuld und Heuchelei. Aus verschiedenen Perspektiven erfährt der Leser von Vernachlässigung und Erpressung, von debilen Direktoren, denen der Ruf der Schule über alles geht, von Müttern, die ihre Töchter anstatt mit Zuwendung mit einem Friseurbesuch trösten, von dummen Sportlehrern und vermeintlich feigen, aber eigentlich ganz schön mutig schlauen Geschichtslehrern, von pädophilen Priestern, kurz von persönlicher und gesellschaftlicher Krise.
Das geht, wie die Aufzählung zeigt, nicht ohne die üblichen Klischees zu bemühen. Vielleicht liegt es daran, vielleicht auch an der Länge des Buches, ganz bestimmt aber liegt es an mir, daß er mir nicht ganz so gut gefallen hat. Der Roman war mir zu lang und mir fehlte die Identifikationsfigur. Alleine Howard fühlte ich mich manchmal nahe, besonders bei seiner Lektüre von Robert Ranke-Graves, Goodbye to All That , über dessen Erlebnisse im 1. Weltkrieg. Mit Die Weiße Göttin zitiert Murray noch ein weiteres empfehlenswertes Buch dieses Schriftstellers.
Für Jugendliche und allen anderen, die noch mit der Schule leben, kann dieser Roman eine lohnende Lektüre sein. Denjenigen, die davon nichts mehr wissen wollen, seien die Bücher von Robert Ranke-Graves ans Herz gelegt.