Marcel Proust in Bildern und Dokumenten
Im Herbst des letzten Jahres legte die Edition Olms mit „Marcel Proust in Bildern & Dokumenten“ einen opulenten Bildband zu Ehren des berühmten Schriftstellers auf rechtzeitig zu seinem 90. Todestag am 18. November und vor dem Jahrestag des Erstausgabe des ersten Bandes der Recherche im Jahre 1913. Dieser großformatige mit Bildmaterial reich ausgestattete Band kann als Coffee-Table-Book neben einer Etagere voller Madeleines Bella Figura machen und die Empfindsamkeit seines Besitzers zur Schau stellen. Er kann aber noch viel besser die Welt der Recherche veranschaulichen, jenes Lebenswerks in sieben Bänden mit den vielen Seiten schöner Sätze. Dieses zu illustrieren, soweit überhaupt möglich, versammelt der Band Fotografien, Dokumente, Kunst und Dekor. Es finden sich Porträts von Proust, seiner Familie und den Freunden. Wir können Briefe, Urkunden und die berühmten Fragebögen studieren, Abbildungen der in der Recherche erwähnten Kunstwerke betrachten. Graphik und Gegenstände des Fin de Siècle vervollständigen das Zeitkolorit und Madeleine Lemaire, eine Freundin Prousts, die sich in Mme de Villeparisis und Mme Verdurin wiederfindet, streut ihre Aquarellblüten über viele Seiten.
Als Herausgeberin dieser Illustration fungiert Patrizia Mante-Proust, die Urgroßnichte des Dichters. Voller Familienstolz berichtet sie über den berühmten Onkel ihrer Großmutter Suzy, der einzigen Tochter von Marcels Bruder Robert. Patrizia Mante-Proust war elf Jahre alt als diese starb, und die stärkste ihrer Erinnerungen gilt neben dem Porträt Prousts von Jacques-Èmile Blanche, das im Salon der Großmutter hing bevor es in die Sammlung des Musée d’Orsay überging, der Entdeckung des Typoskripts von „Albertine disparue“ im Jahr 1986. Auch wenn sie alle Erwartungen hinsichtlich ererbter literarischer Tiefgründigkeit bescheiden ablehnt, äußert sie doch das Bonmot „Proust ist keine Frage des Lesens, sondern des Wiederlesens!“. Zum Abschluss des Vorworts erweist sie ihm auch phänotypisch Reverenz auf einem Porträt mit künstlich verhangenem Blick und auf einem Aquarell, das Ahn und Erbin als Radfahrer auf der Promenade von Cabourg zeigt.
Der Hauptteil des Bandes teilt sich in Kapitel, deren Texte die Proust-Forscherin Mireille Naturel verfasste. Sie lehrt an der Pariser Universität Sorbonne Nouvelle und ist Generalsekretärin der Société des Amis de Marcel Proust. Ein weiteres Element bilden Passagen der Recherche, die mit ausgewählten Abbildungen korrespondieren. In sechs Kapiteln wirft Naturel Schlaglichte auf die Bedeutung dieses Gesellschaftsromans und erinnert zugleich an den aktiven, vielseitig interessierten Proust.
Das erste Kapitel taucht ein in das Idyll der Kindheit in Illiers-Combray. Familienmitglieder, Ausschnitte aus Schul- und Studienzeit, das freiwillige Jahr beim Militär, aber auch die frühen Ferienaufenthalte in Cabourg entfalten ein „Kaleidoskop des Lebens“. Im zweiten Kapitel erfahren wir von Prousts Begegnungen und Beziehungen zu anderen Künstlern, wie Jacques-Èmile Blanche und Jean Cocteau, aber auch von seinem Zusammentreffen mit dem Verleger Gaston Gallimard. Das mondäne Leben des jungen Prousts in den Salons beeinflusst unmittelbar das Entstehen seines ersten literarischen Werks, „Freuden und Tage“. Die beiden folgenden Kapitel widmen sich zwei ganz wesentlichen Elementen, dem Lesen und der Kunst. Zeigt das eine, wie in Prousts Vorwort zu seiner Übersetzung von Ruskins „Sésam et les Lys“, Grundgedanken der Recherche bereits angelegt sind, so berichtet Naturel im folgenden Kapitel von Prousts Kunstverständnis und seinem synästhetischen Erleben der Eindrücke. Das Schlusskapitel widmet sich dem Entstehen des Romanwerks. Mit vielen Abbildungen verfolgt es die Ausarbeitung von Notizen zum Manuskript. Die Überarbeitung des Typoskripts mit den vielen eingefügten Paperoles für die zahlreichen Zusätze und Korrekturen könnte fast als Kunstwerk für sich betrachtet werden. Ein kurzer Abriss der Proust-Rezeption beendet das Kapitel und Buch. Es schließen sich Literaturverzeichnis wie Abbildungsnachweis und eine Transkription und Übersetzung der Textdokumente an sowie, was anscheinend nie fehlen darf, ein Rezept für Madeleines.
Ins Deutsche übersetzt wurde dieser insgesamt sehr schöne Bildband von Stefanie Kuballa-Cottone. Er bietet eine gute Ergänzung zu Marcel Proust, seinem Werk und seiner Welt, der jedoch zwei kleine Aber hinzufügt werden müssen. Nicht immer wirkt die Zusammenstellung der unterschiedlichen Abbildungsformate geglückt. Kleine Fotos mit abgerundeten Ecken neben einem großformatigen Rechteck oder alte und neue Aufnahmen auf einer Blütentapisserie erinnern an selbstgemachtes Fotobuchstyling. Das mag Geschmackssache sein. Keine Frage des Geschmacks sind jedoch die abfärbenden Drucke, die auf den weißen Flächen unschöne Flecken hinterlassen. Das hätte durch Sorgfalt bei der Herstellung vermieden werden können.
Nicht nur wegen des Titels darf die Rezension von Andreas Platthaus in der F.A.Z. nicht unerwähnt bleiben, „Im Schatten später Nichtenblüten“.
Mante-Proust, Patricia; Naturel, Mireille (Hg.), Marcel Proust in Bildern & Dokumenten, übers. v. Stefanie Kuballa-Cottone, Edition Olms Zürich 2012.