A hard-boiled Sheep Story

Scott Preston erzählt in „Über dem Tal“ vom prägenden Einfluss der Lebenswelt

Der Hof lag in ei­ner der vier­zehn feuch­ten, grün­vio­let­ten Ein­öden, ei­ner knapp zehn Ki­lo­me­ter brei­ten Sen­ke, von Ge­röll­hö­hen be­grenzt, Re­gen­zeit zwölf Mo­na­te im Jahr, stets Säu­re im Was­ser, Es­sig in der Er­de. Ein stei­les Land, be­kannt für sei­ne Seen, wir aber le­ben in den Hü­geln. Wol­ken­zer­fres­se­ne Ber­ge, Fells ge­nannt. Kei­ner groß, al­le steil, das Land von Zwerg­gras über­zo­gen, die Kru­me dünn wie Teeflecken. (…)
Un­se­re Her­de leb­te wild auf den frei­en Fells tau­send Fuß überm Tal. Wir über­lie­ßen die Tie­re sich selbst, so dass sie auf den Hän­gen und Klip­pen jen­seits der letz­ten Tro­cken­stein­mau­ern stromern konn­ten. Zu fut­tern fan­den sie, was sich auf Stei­nen krin­gel­te oder klum­pig am Baum wuchs, Flecht­krus­te auf Fels­vor­sprün­gen; man­ches da­von glüh­te grü­ner als die Ab­was­ser von Sellafield.(…)
Die Fells sind ein lee­res Land, wes­halb es ver­zeih­lich ist, wenn man es für sein ei­ge­nes Reich hält, für uns aber war es das wirk­lich und erst recht für William.“

Im Nor­den Eng­lands, in Cum­bria an der Gren­ze zu Schott­land, liegt die Ge­gend, aus der Scott Pres­ton stammt. Die­sem kar­gen Land und den Men­schen, die dort ih­re Scha­fe züch­ten, wid­met er sei­nen Ro­man „Über dem Tal“. Die Tie­re ha­ben sich der wid­ri­gen Na­tur an­ge­passt, meis­tern das kar­ge Fut­ter und den ewi­gen Re­gen. Der Maul- und Klau­en­seu­che je­doch, die 2001 über das Tal ein­bricht, er­lie­gen sie. Dar­über will ich ei­gent­lich nichts le­sen, über das Elend der Schä­fer und die Aus­mer­zung gan­zer Her­den. Aber die Art, wie Pres­ton da­von er­zählt, von den Fells, den Scha­fen und den Men­schen, zieht mich ab der ers­ten Sei­te in die Ge­schich­te hin­ein. In epi­scher Wei­se stimmt ein zu­nächst na­men­lo­ser Er­zäh­ler die­se Sa­ga an. „Ich er­zäh­le dir die­se Ge­schich­te über uns, über Leu­te, die ge­stor­ben sind, und ich er­zäh­le sie, als hät­te ich sie so er­lebt und hin­ter mir ge­las­sen. Ein Teil von mir hat das auch, an­de­re Tei­le aber tra­ge ich zer­bro­chen mit mir her­um und die war­ten dar­auf, mit dem Rest be­gra­ben zu wer­den.“ Sei­ne Sa­ga han­delt vom Schick­sal Wil­liam Her­nes, das im Aus­bruch der Seu­che sei­nen An­fang nahm.

An­ders als Her­ne, der über 1000 Scha­fe und viel Land sein Ei­gen nennt, lebt der Er­zäh­ler, Ste­ve El­li­man, auf ei­ner klei­nen Farm. Er ar­bei­te­te als Fern­fah­rer, sein Va­ter hat ihn zu­rück­ge­holt, um die Seu­chen-Auf­la­gen der Be­hör­de zu be­wäl­ti­gen. Doch sie schaf­fen es nicht. Al­le 200 Tie­re wer­den ge­keult. Die Bru­ta­li­tät die­ses Aus­drucks trifft den Vor­gang, den Pres­ton in er­schre­cken­der Prä­zi­si­on schil­dert. Es bleibt ein ein­zi­ges Lamm, ver­bor­gen und fast im Schlamm er­stickt. Ste­ve bringt es zu Wil­liam, der sich den An­ord­nun­gen wi­der­setzt und kei­nen Tier­arzt auf die Farm lässt. „Er ist schon im­mer ein ver­rück­ter Bas­tard ge­we­sen. Ehr­lich ge­sagt, das wa­ren wir al­le. Nur im Kopf, was um uns ist. Die Scha­fe, die Hun­de, die Wei­den.“ Er will die Sa­che selbst er­le­di­gen, will den ge­sun­den Teil der Her­de in den Fells ver­ste­cken und die kran­ken Tie­re tö­ten und ver­bren­nen. Le­dig­lich zwei Män­ner ge­hen ihm zur Hand. Als die­se an­ge­sichts der Kno­chen­ar­beit das Wei­te su­chen, ist er auf Ste­ves Hil­fe an­ge­wie­sen. Ge­mein­sam schlep­pen sie die Ka­da­ver zu­sam­men und schich­ten sie zu ei­nem rie­si­gen Schei­ter­hau­fen. „Ein Schaf, zwei Scha­fe, drei Scha­fe, un­ver­rück­bar ein­ge­fügt, fest ins Stroh­bett ver­keilt. Der Sta­pel war fast kopf­hoch, aber wir mach­ten ihn hö­her, Schicht um Schicht. Im­mer noch ei­ne La­ge mehr, ob Tü­ren, Kis­ten und Pa­let­ten oder Sä­cke voll mit Koh­le, die­sem glas­schwar­zen Zeug, das wie feucht glänz­te. Wir press­ten ih­re Bäu­che flach, zo­gen Bei­ne an, mach­ten aus Zib­ben Kno­chen­zie­gel, aus Wid­dern ge­här­te­ten Schie­fer, so dicht an dicht, dass sie sich an­ein­an­der rie­ben, sich das Fell scheu­er­ten. Als Wil­liam bis aufs Hemd an sei­nem Rü­cken al­les auf­ge­schich­tet hat­te, blies er, fä­chel­te er die ro­te Glut an. Wur­de ein Feu­er nur heiß ge­nug, ver­küm­mert die Son­ne zur Ker­ze, bloß die­se kran­ken Scha­fe, so ver­dammt blö­de, so ver­dammt stör­risch – die fin­gen sich al­les ein, Flam­men aber konn­ten ih­nen nichts an­ha­ben. Ver­seng­te Wol­le, an­ge­ko­kel­tes Fleisch, doch das Feu­er kam nicht in Gang; wir fan­den zwei Me­tall­span­gen, zwei rie­si­ge Schür­ha­ken, und prü­gel­ten auf ih­re Rü­cken ein, ver­trimm­ten sie wie Tep­pi­che. „Macht schon. Macht schon.“ Über­gos­sen die nächs­te La­dung mit Par­af­fin, mit Die­sel, und das kam gut, brach­te Schwung in das Gan­ze, wir spritz­ten Ben­zin un­ten ins kal­te In­ne­re, wor­auf­hin die Flam­men dop­pelt so hoch auf­schos­sen und un­se­re Brau­en him­mel­wärts ris­sen. Ich war­te­te, wäh­rend das Feu­er brüll­te und knack­te, ripp, rapp, ripp, rapp, wand sich mit lau­tem Knal­len, als wä­ren al­le ver­brauch­ten Pa­tro­nen noch scharf.“ Ei­ne An­ge­le­gen­heit, von der ich eher nichts hö­ren möch­te, je­den­falls nichts Ge­nau­es, doch durch die For­ma der Dar­stel­lung wird sie zu ei­ner Ge­schich­te, die ich fast ger­ne lese.

We­der sind die Män­ner die­ser Tat die Stars des Ro­mans, noch die Land­schaft oder die Scha­fe ‑auch wenn mich die­se Ex­em­pla­re mehr be­ein­dru­cken als ih­re Art­ge­nos­sen in der Lü­ne­bur­ger Hei­de und in ei­ner ein­drucks­vol­len Sze­ne so­gar zu Ste­ves und Wil­liams Le­bens­ret­tern wer­den. Pres­ton macht die Spra­che zum Star sei­nes Ro­mans. Die­ser nimmt nach dem ers­ten Teil al­ler­dings ei­ne Viel­zahl von Wen­dun­gen. Ste­ve kehrt nach der Maul-und-Klau­en-Ka­ta­stro­phe zu­nächst zu sei­nem LKW zu­rück. Er ha­dert mit sei­nem Los, blickt voll Sar­kas­mus auf sich, sei­nen Job und sei­ne Lands­leu­te. Mit sei­nem Hu­mor bringt Ste­ve mich manch­mal zum La­chen, wenn er von Fuh­ren be­rich­tet,  „ge­nü­gend Kis­ten mit ge­nü­gend Che­mie­bro­ten, um den Ri­ver Trent auf­zu­tun­ken“, oder von sei­nen Lands­leu­ten, „die dach­ten, sich in Ge­duld zu üben hie­ße, ab­zu­war­ten, bis man ver­faul­te“.

Und doch lan­det er wie­der in den Fells, auf Cald­hi­te, in der Nä­he von He­len. Ste­ves Rück­kehr liegt nicht nur an den Um­stän­den, am Tod sei­nes Va­ters oder an sei­ner ver­hass­ten Ar­beit als LKW-Kut­scher. Es ist He­len, Her­nes Frau, zu der Ste­ve ei­ne Ver­bin­dung spürt. Die Ge­füh­le blei­ben je­doch im Sub­text ste­cken wie die Läm­mer im Schlamm. Die Spra­che der Schä­fer mit kur­zen Sät­zen oh­ne Pro­no­men hat da­für kei­ne Worte.

Die mar­ki­gen Sprü­che ver­meint­lich har­ter Ker­le pas­sen eben­so zu den Ty­pen, die den Ro­man in ei­ne un­er­war­te­te Rich­tung drän­gen. Aus dem Epos über den Exis­tenz­kampf in der wil­den Na­tur wird ei­ne hard-boi­led Gangs­ter-Sto­ry. Pres­ton ge­stal­tet die­se un­ter­halt­sam und span­nend, aber gna­den­los über­dreht. So ge­ra­ten wir zu­nächst in ei­ne miss­glück­te Fuchs­jagd, von der man die Weis­heit mit­nimmt, „Tra­di­ti­on (schien) ge­nau das rich­ti­ge Wort für Din­ge zu sein, die zu tun es kei­nen gu­ten Grund gab“. Es fol­gen, ein Raub, ei­ne Ver­fol­gungs­jagd, ein ge­fähr­li­cher Her­den­trieb, bru­ta­le Ty­pen, ag­gres­si­ve Hun­de und Ge­walt bis zum Äu­ßers­ten. In Ste­ves Wor­ten: „Es floss Blut ge­nug, um ein Ka­no­nen­boot drin schwim­men zu lassen.“

Da­zwi­schen schie­ben sich im­mer wie­der Pas­sa­gen, die Hoff­nung ma­chen, bei­spiels­wei­se wenn Ste­ve und He­len die neue Her­de ein­ge­wöh­nen. Pres­ton stellt die Schön­heit oder bes­ser die Rein­heit der Na­tur der Grau­sam­keit und Ge­winn­sucht der Men­schen ge­gen­über. Dies zeigt er mit sei­ner Spra­che und durch sei­ne Fi­gur Ste­ve, die weiß, wel­che prä­gen­de Kraft die Um­welt auf ih­re Be­woh­ner hat. „Man hat im Le­ben nur das, was man se­hen kann, al­so soll­te man da­für sor­gen, dass es kein Geh­weg vol­ler Hun­de­schei­ße ist oder das fal­sche En­de ei­ner Su­per­markt­kas­se.“ Ste­ve wählt die kar­ge Land­schaft der Fells der Pres­ton, selbst ein Sohn Cum­bri­as, last but not least durch die Ka­pi­tel­num­me­rie­rung im Schaf­zähl­sys­tem gedenkt.

Scott Preston, Über dem Tal, übers. v. Bernhard Robben, S. Fischer Verlag 2025

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