Ein Brite in Japan

Chris Broad erzählt in „Abroad in Japan“ von seinen „Erfahrungen bei der Erkundung einer Kultur und seiner unablässigen Selbstdemütigung“

Bis zu die­sem Au­gen­blick hat­te mich mein Stolz dar­auf, für das JET-Pro­gramm aus­ge­wählt wor­den zu sein, zu der Vor­stel­lung ver­führt, ich wä­re et­was Be­son­de­res. Doch als ich nun in der Lob­by des Keio Pla­za Ho­tels stand als ei­nes von tau­send frem­den Ge­sich­tern, däm­mer­te mir, dass ich nur ein win­zi­ges Räd­chen in ei­ner wohl­ge­öl­ten Ma­schi­ne­rie war.“

Der Au­tor die­ses Ja­pan­buchs, Chris Broad, kam 2012 erst­mal in das Land. Aus­ge­wählt vom „Ja­pan Ex­ch­an­ge and Tea­ching Pro­gramm“ soll­te er ja­pa­ni­sche Leh­rer beim Eng­lisch-Un­ter­richt un­ter­stüt­zen. Mitt­ler­wei­le lebt er im­mer noch in Ja­pan und dreht Do­ku­men­tar­fil­me. Be­rühmt wur­de er, ins­be­son­de­re in sei­ner neu­en Hei­mat, durch sei­ne You­Tubes über sei­ne Er­leb­nis­se in dem an­fangs für ihn so frem­den Land. In „Ab­road in Ja­pan“ lie­gen die­se nun in li­te­ra­ri­scher Form vor.

All‘ das wuss­te ich nicht, als ich zu dem Buch griff. Der Ti­tel weck­te in mir Er­in­ne­run­gen an die Rei­se­be­rich­te von Mark Twa­in und Bill Bry­son. Der Ver­gleich liegt na­he, nicht nur, was den Ti­tel an­geht. In iro­ni­schem Ton, der sich selbst als Ziel des Spotts kaum aus­spart, schil­dert Broad sei­ne Be­geg­nun­gen mit der ja­pa­ni­schen Kul­tur. Wir be­glei­ten ihn bei sei­nem Be­mü­hen, mit die­ser ver­traut zu wer­den, über zehn Jah­ren hinweg.

Den größ­ten Teil neh­men sei­ne drei Jah­re als Leh­rer an der Saka­ta Se­ni­or High in der Prä­fek­tur Ya­ma­ga­ta ein. Es folgt sein Weg in die Selbst­stän­dig­keit. Zu­nächst dreht Broad Vi­de­os für ei­ne Tou­ris­mus­agen­tur, dann Do­ku­men­tar­fil­me über den Wie­der­auf­bau nach der Fu­ku­shi­ma-Ka­ta­stro­phe. Zwi­schen­durch ver­öf­fent­licht er im­mer wie­der You­Tubes, so über die Scho­ko-Pom­mes von McDonald’s oder über den Test­flug ei­ner nord­ko­rea­ni­schen Interkontinentalrakete.

Die Lek­tü­re ist un­ter­halt­sam wie in­for­ma­tiv, amü­sant und den­noch fein­füh­lig, denn Board ge­lingt es, die Aben­teu­er in der Fer­ne mit Ein­sich­ten in sich selbst zu ver­bin­den. Selbst­iro­nie prägt sei­nen Blick, er stellt sich nicht über das zu­wei­len ver­stö­ren­de Un­be­kann­te, son­dern dar­auf ein. Ei­ne die­ser Her­aus­for­de­run­gen ist die Sprach­bar­rie­re auf bei­den Sei­ten. Chris spricht kein Ja­pa­nisch, die meis­ten Eng­lisch-Leh­rer, de­nen er be­geg­net, kaum Eng­lisch. „So an­ge­nehm die meis­ten mei­ner Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen auch wa­ren, of­fen­bar ge­hör­te es nicht zur Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zung ei­nes Eng­lisch­leh­rers in Ja­pan, auch Eng­lisch zu spre­chen.(…) Mir wur­de klar, dass mei­ne üb­li­che spöt­ti­sche, sar­kas­ti­sche Sprach­per­sön­lich­keit, an­ge­füllt mit Me­ta­phern und bri­ti­schem Non­sens-Slang, hier un­an­ge­bracht war. Um kom­mu­ni­zie­ren zu kön­nen, muss­te ich mein Vo­ka­bu­lar dras­tisch ver­ein­fa­chen – was da­zu führ­te, dass ich noch lang­wei­li­ger wirk­te, als ich oh­ne­hin schon bin.“

Als Leh­rer un­ter­rich­tet Chris auch au­ßer­halb der Schu­le und ge­langt so an ei­nen Sprach­kurs, des­sen Mit­glie­der sei­ne ers­ten pri­va­ten Kon­tak­te wer­den. „Der Hö­he­punkt des ei­kai­wa je­den Mo­nats wa­ren die Haus­par­tys, die Na­o­ko oder ei­ne der an­de­ren äl­te­ren Da­men der Grup­pe ver­an­stal­te­ten. Wir tra­fen uns al­le und brach­ten selbst ge­ba­cke­nen Ku­chen und Snacks mit, die wir dann ge­nüss­lich ver­speis­ten. Das war nicht nur ei­ne deut­lich bes­se­re Ku­lis­se als die ste­ri­le Stadt­hal­le, son­dern die Ein­la­dung in die Woh­nung der Kurs­teil­neh­me­rin­nen gab mir auch das Ge­fühl, in die ört­li­che Ge­mein­schaft in­te­griert zu sein. Mit ei­nem Mal war ich nicht mehr der geis­ter­haf­te Frem­de, der al­lein durch die Stra­ßen zog, son­dern eher ein Teil der Gemeinschaft.“

Ei­ner der Teil­neh­mer wird ihn spä­ter beim Ja­pa­nisch-Ler­nen un­ter­stüt­zen. Denn ob­gleich Chris sich in sei­nem ers­ten schnee­rei­chen ja­pa­ni­schen Win­ter un­zäh­li­ge Kan­ji-Zei­chen ein­prägt und im All­tag stets von der Spra­che um­ge­ben ist, fällt es ihm schwer, sie an­zu­wen­den. Das mag auch an der Ge­sprächs­kul­tur der Ja­pa­ner lie­gen. „Das ja­pa­ni­sche Sprich­wort »Es ist bes­ser, vie­le Din­ge un­aus­ge­spro­chen zu las­sen« fasst das chin­mo­ku wun­der­bar zu­sam­men. In Ja­pan ist Schwei­gen al­les an­de­re als un­an­ge­nehm, son­dern viel­mehr Teil des täg­li­chen Umgangs.“

Ge­prägt von Hier­ar­chie und so­zia­ler Kon­trol­le zei­gen sich vie­le dem Frem­den ge­gen­über zu­rück­hal­tend. Sein aus­tra­li­scher Kol­le­ge Roy und al­ko­ho­li­sche Ge­trän­ke wir­ken je­doch als Brü­cken­bau­er. So ent­wi­ckeln sich in ei­ner Knei­pe beim Fei­er­abend-Bier die ers­ten Un­ter­hal­tun­gen und bei der gro­ßen Fei­er am Jah­res­en­de spre­chen ihn plötz­lich die Kol­le­gen frei­mü­tig an. „Im Lau­fe der Jah­re ha­ben wir durch je­de Men­ge Spio­na­ge­fil­me ge­lernt, dass der si­chers­te Weg, um je­man­dem die Wahr­heit zu ent­lo­cken, ei­ne Sprit­ze mit Thio­pen­tal ist – und schon of­fen­bart der Be­trof­fe­ne sei­ne tiefs­ten, dun­kels­ten Ge­heim­nis­se. In Ja­pan braucht man da­zu nur zwei Glä­ser Bier.“ 

Ne­ben die­sen lehr­rei­chen In­for­ma­tio­nen über Ja­pan, zu de­nen zählt, daß ein Arzt­be­such meist mit dem Kon­sum ei­ner In­fu­si­on ein­her­geht, lie­fert Broad auch Amü­san­tes. Sei­en es die Kon­fron­ta­ti­on mit Köst­lich­kei­ten aus dem Bauch des Tin­ten­fischs, die Vor­zü­ge ei­nes Kei-Car und der Trick ein eben­sol­ches ge­schickt und oh­ne Schau­fe­lei aus ei­ner Schnee­we­he zu ma­nö­vrie­ren. Na­tür­lich fin­det sich auch Er­wart­ba­res, wie die „Stra­ßen­schuh-Ver­bots­kul­tur“ oder das auf Gar­tem­pe­ra­tur ge­brach­te Was­ser ei­nes On­sen. Und wer nicht mehr la­chen mag, kann sich ge­nüss­lich über die En­ge ei­ner Schlaf­kap­sel gruseln.

Da un­ser Ja­pan-Bumm­ler in den Jah­ren al­le 47 Prä­fek­tu­ren be­reist, kom­men­tiert und ge­filmt hat, ha­ben auch Flo­ra und Fau­na ih­ren Auf­tritt. So be­geg­net Broad wie einst Bill Bry­son ei­nem Bä­ren so­wie ei­ner un­gleich grö­ße­ren An­zahl von mehr oder we­ni­ger be­rühm­ten Kat­zen. Der Biss in ei­ne der schöns­ten und teu­ers­ten Erd­bee­ren Ja­pans und so­mit zu­gleich der Welt mag als Ent­schä­di­gung für die­se Bes­ti­en in­ter­pre­tiert wer­den. Ge­nau­so wie Broads Be­mü­hun­gen um In­te­gra­ti­on in das Land der auf­ge­hen­den Son­ne ih­ren Lohn in der Freund­schaft zu ei­nem Ja­pa­ner finden.

Chris Broad, Abroad in Japan. Meine Abenteuer im Land der aufgehenden Sonne, übers. v. Jörn Pinnow, Kiepenheuer&Witsch 2025

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