Exempla docent

In „Die Schlange im Wolfspelz“ legt Michael Maar die sprachlichen Lebensadern der Literatur frei

Wenn wir uns le­send trei­ben las­sen (…) dann im­mer in der Hoff­nung, man kom­me, ex­em­pla do­cent, dem Ge­heim­nis des Stils und der gro­ßen Li­te­ra­tur nur durch Bei­spie­le nah.“

Der gleich­sam be­le­se­ne wie wort­ge­wand­te Mi­cha­el Maar ver­sucht in sei­nem neu­en Buch dem „Ge­heim­nis gro­ßer Li­te­ra­tur“ mehr als auf die Spur zu kom­men. Als Proust­ken­ner leuch­tet er mir schon lan­ge den Weg und auch als Ro­man­cier ist er nicht un­be­kannt, um nicht zu­erst auf sei­ne Ver­wandt­schaft mit ei­nem ge­wis­sen ge­punk­te­ten We­sen zu ver­wei­sen. Mit „Die Schlan­ge im Wolfs­pelz“ legt Maar nun ei­ne ver­gnüg­lich zu le­sen­de Be­trach­tung der deut­schen Li­te­ra­tur vor. So wie Ver­gil Dan­te durch die Wäl­der und Win­dun­gen der Un­ter­welt bis fast ans Licht führt – die letz­te Etap­pe über­nimmt be­kannt­lich Bea­tri­ce –, führt Maar sei­ne Le­ser zu­nächst in sein Sprach- und Stil­ver­ständ­nis ein und spä­ter durch sei­ne Bi­blio­thek. Man­che bis­her un­be­kann­ten Ti­tel wird man nach der Lek­tü­re le­sen wol­len, dank der Vor­be­rei­tung auch oh­ne je­de Beatrice.

Im ers­ten Teil der Stil­kun­de fragt Maar nicht, was gut ge­schrie­ben ist. Was ge­fällt, kön­ne nur ein Ge­schmacks­ur­teil sein und das hat­te schon bei Kant kei­nen Be­stand: „Denn je­der äs­the­tisch von et­was Über­zeug­te sinnt an, sein sub­jek­ti­ves Ge­schmacks­ur­teil als all­ge­mein­gül­tig zu ak­zep­tie­ren.“ Je­der, der mit an­de­ren über Li­te­ra­tur dis­ku­tiert, kennt die Fal­le. Als wei­te­re Re­geln sind nach Maar zu be­ach­ten: das Werk und das Le­ben des Au­tors be­ein­flus­sen sich ge­gen­sei­tig; glei­ches gilt für In­halt und Form ei­nes li­te­ra­ri­schen Werks; gu­ter Stil zeigt sich in den Ei­gen­ar­ten des Dich­ters. Zu sei­nen Haus­göt­tern zählt Maar, ne­ben Mar­cel Proust, dem „Gross­lo­gen­meis­ter des Stils“ und ei­nem der we­ni­gen nicht deutsch­spra­chi­gen Au­toren in sei­nem Buch, der un­ver­meid­li­che Jo­hann Wolf­gang von Goe­the, Jo­hann Pe­ter He­bel, Franz Kaf­ka, Gott­fried Kel­ler und Hei­mi­to von Do­de­rer, um nur ei­ni­ge zu nen­nen. Doch die­se her­aus­ge­ho­be­ne Stel­lung in Maars Bi­blio­thek ver­wahrt die Er­wähn­ten nicht vor der Kri­tik ih­res be­geis­ter­ten Lesers.

Gu­ter Stil al­lein ge­nü­ge nicht, son­dern „Ge­dan­ken und For­mu­lie­run­gen müs­sen pass­ge­naus sein“. Die­se Re­gel be­ach­tet Maar und be­rei­tet da­durch sei­ner Le­se­rin gro­ßes Ver­gnü­gen. „Rhe­to­risch ist der Kat­zen­lieb­ha­ber Freud ein Meis­ter der Er­schlei­chung und des So­phis­mus“ cha­rak­te­ri­siert er die Aus­drucks­wei­se des Analytikers.

Stil- und Sprach­mit­tel ana­ly­siert Maar, in­dem er sie aus den Tex­ten der zu­meist ge­schätz­ten Au­toren her­aus­pickt. Je wei­ter wir Maar in sein Me­tier fol­gen, um­so bes­ser er­ken­nen wir den li­te­ra­ri­schen Stil sei­ner Au­toren. Auch wenn es un­ter die­sen man­chen gibt, der sich der Ein­deu­tig­keit ver­wehrt, wie Dö­b­lin, dem Maar ei­nen „Cha­mä­le­on-Stil“ at­tes­tiert. Die meis­ten sind je­doch ein­deu­tig iden­ti­fi­zier­bar. Oft so leicht, daß sie gut und ger­ne par­odiert wer­den. Ein Meis­ter in die­ser Kunst war Ro­bert Neu­mann, den ich nun, dank Maar, un­be­dingt le­sen möch­te. Wie gut die ei­ge­ne Stil-Spür­na­se taugt, lässt sich in den bei­den bei­gefüg­ten Li­te­ra­tur­quiz herausfinden.

Es fol­gen wei­te­re Re­geln, die wie Ver­bo­te klin­gen und bei der Au­torin die­ses Bei­trags Hem­mun­gen ver­ur­sa­chen: ver­mei­de Phra­sen, schie­fe Bil­der, Wort­hül­sen und Kli­schees! Man lernt nie aus. Wäh­rend Maar mit Text­aus­schnit­ten, Sät­zen, Ver­sen und Ge­dich­ten den gro­ßen, deutsch­spra­chi­gen Li­te­ra­ten, Mann, Kleist, Do­de­rer, und na­tür­lich der Aus­nah­me Proust, ins Schreib­heft blickt, über Ad­jek­ti­ve und de­ren zu ver­mei­den­de An­häu­fung, Satz­zei­chen und gram­ma­ti­sche Be­zü­ge spricht, lernt die Le­se­rin den strin­gen­ten Sub­jekt­be­zug von um zu. Puh!

Wah­re Schrift­stel­ler hin­ge­gen be­herr­schen ih­re In­stru­men­te voll­kom­men, wie Maar im drit­ten Teil sei­nes Bu­ches zeigt. Sei es Proust, der ge­nia­le Schöp­fer von Me­ta­phern, Tho­mas Mann, der Künst­ler der Ge­räusch­ku­lis­se oder Eva Men­as­se, de­ren skur­ril ver­dreh­te Re­dens­ar­ten im Ro­man „Vi­en­na“ Maar sei­nen Buch­ti­tel ver­dankt. Mich er­in­nert er an ei­ne Freun­din, die sich dar­über be­klag­te, daß sie stets „die Koh­len aus­löf­feln müs­se“.  Das ist ver­mischt und doch ori­gi­nell, man weiß ge­nau, was ge­meint ist.

Dass Werk­zeu­ge auch falsch ein­ge­setzt wer­den, ver­schweigt Maar nicht. So sind die Auf­zäh­lun­gen der Bi­bel oft ein­schlä­fernd fad und der Ver­such, Wie­der­ho­lun­gen zu ver­mei­den, der „Syn­onym­sucht“ ge­fähr­lich nah. Auch der Auf­takt zum Dia­log soll­te lie­ber schlicht blei­ben und sich nicht im Halb­satz ver­küns­teln. So­fort ist Maar wie­der beim Lob. „Die Kunst wört­li­cher Re­de be­herr­schen aus ir­gend­ei­nem Grund be­son­ders gut die Ös­ter­rei­cher“. Kein Wun­der al­so, daß Cle­mens J. Setz, der jüngs­te Be­stü­cker von Maars Buch­re­gal, aus die­sem Land kommt.

Nach Se­zie­re­rei­en und Bi­bi­li­o­theks­be­su­chen schließt Maar sei­ne Su­che nach gu­ter Li­te­ra­tur mit dem Ge­dan­ken­strich, so er denn mit ge­stal­te­ri­schem Ge­schick in „Stel­len“ ver­wan­delt wur­de. Bei den bes­tens be­kann­ten Fa­vo­ri­ten, „al­te und neue Klas­si­ker und ein paar Zeit­ge­nos­sen“, geht es wie in der Na­tur „oft ein­fach drun­ter und drü­ber“, doch stets stil­voll zu.

Er­gänzt wird das le­sens­wer­te Kom­pen­di­um von ei­nem An­hang mit An­mer­kun­gen, Li­te­ra­tur­lis­te und ei­nem Re­gis­ter oh­ne Seitenangaben.

Mi­cha­el Maar, Die Schlan­ge im Wolfs­pelz, ro­wohlt 2020

 

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