Zwischen den Zeiten

In „Das Gartenzimmer“ konstruiert Andreas Schäfer kunstvoll Geschichte

Bei der Vor­stel­lung, dass El­sa Ro­sen den Brief in sei­nem spä­te­ren Zim­mer ge­schrie­ben hat­te, schau­der­te ihm, als kleb­te et­was von den da­ma­li­gen Er­eig­nis­sen an ihm, weil er jah­re­lang in den glei­chen Räu­men ge­lebt und die Aus­düns­tun­gen ih­rer Wän­de ge­at­met hatte.“

Man mag „Das Gar­ten­zim­mer“ von An­dre­as Schä­fer als his­to­ri­schen Ro­man le­sen, der an­hand sei­nes Su­jets, ei­ner Ar­chi­tek­ten­vil­la in Ber­lin-Dah­lem, den Um­bruch vom lan­gen Neun­zehn­ten Jahr­hun­dert in die Wir­ren des Zwan­zigs­ten in Sze­ne setzt. Doch das wä­re zu kurz ge­grif­fen, denn die Ge­schich­te der Vil­la Ro­sen bil­det den An­gel­punkt, um den sich vie­le wei­te­re Ge­schich­ten des Ro­mans drehen.

Er­baut wur­de das Haus, in dem das ti­tel­ge­ben­de Gar­ten­zim­mer ei­ne be­son­de­re Rol­le spielt, im Jahr 1909 von Max Tau­bert. Um­stän­de und Fi­gur hat Schä­fer an den Ar­chi­tek­ten Mies van der Ro­he an­ge­lehnt. Ei­ne Vil­la Ro­sen wird man folg­lich in Ber­lin-Dah­lem ver­geb­lich su­chen. Doch ähn­lich wie die­se im Über­gang zur Mo­der­ne ver­or­tet ist ein frü­her Bau des spä­ter welt­be­rühm­ten van der Ro­he, Haus Riehl in Ba­bels­berg wie Ger­hard Mat­zig in sei­ner Re­zen­si­on in der Süd­deut­schen vom 20.7.20 herausstellt.

Dies mag Ar­chi­tek­tur­fans eben­so in­ter­es­sie­ren, wie die vie­len Be­schrei­bun­gen der bau­li­chen De­tails, der Blick­ach­sen und der Be­son­der­hei­ten der Vil­la. Doch nicht we­ni­ger stark als die Kon­struk­ti­on die­ses fik­ti­ven Ar­chi­tek­tur­denk­mals be­ein­druckt die Kon­struk­ti­on von Schä­fers Roman.

Dies zeigt schon sein Auf­bau. In al­ter­nie­ren­den Ka­pi­teln er­zählt „Das Gar­ten­zim­mer“ von den bei­den Be­woh­ner­fa­mi­li­en des Hau­ses. Dass Pro­fes­sor Adam Ro­sen und sei­ne Frau El­sa als Bau­her­ren von 1909 an 36 Jah­re in der Vil­la le­ben, Frie­der und Han­nah Le­ke­busch mit Sohn Lu­is erst 90 Jah­re spä­ter das Haus be­zie­hen, er­laubt es Schä­fer, zwi­schen den Zei­ten zu sprin­gen. Die Er­eig­nis­se um die Ro­sens und den Ar­chi­tek­ten Tau­bert, er­zählt er weit­ge­hend chro­no­lo­gisch, his­to­risch ein­ge­bun­den und nur mit we­ni­gen Rück­bli­cken. Die Le­ke­buschs hin­ge­gen lernt der Le­ser an ei­nem Abend im Mai des Jah­res 2001 ken­nen. Ih­re Be­mü­hun­gen um die stil­ge­rech­te Re­stau­rie­rung der Vil­la und ihr kunst­his­to­ri­sches En­ga­ge­ment ver­schaf­fen dem Haus Auf­merk­sam­keit. Die Vil­la Ro­sen wird Teil ei­ner Aus­stel­lung und Lo­ca­ti­on für de­ren Er­öff­nung an be­sag­tem Mai­abend. Von die­sem Punkt aus schweift Schä­fer vor und zu­rück. Wir er­fah­ren von den Mü­hen, die das Haus den Le­ke­buschs mach­te, aber auch von ih­ren pri­va­ten Pro­ble­men, vom Ab­na­beln des Soh­nes und künf­ti­gen Er­eig­nis­sen, die bis in das Jahr 2013 führen.

Dies klingt ver­wir­rend und manch­mal ist es dies auch, denn ei­ni­ge Hand­lungs­fä­den füh­ren sehr weit weg. So ver­fol­gen wir den sich auf den Han­del mit an­ti­ken Mö­beln spe­zia­li­sier­ten Lu­is auf Schnäpp­chen­jagd in die Pfalz oder auf Rei­sen in fer­ne­re Regionen.

Zahl­reich sind auch die Per­so­nen die­ses Ro­mans. So­bald man sie ih­rer je­wei­li­gen Zeit- und Hand­lungs­ebe­ne zu­ord­net, fin­den sich in bei­den Grup­pen er­staun­li­che Par­al­le­len. Dies zeigt nicht nur die Ge­gen­über­stel­lung der bei­den Ehe­paa­re Adam und El­sa Ro­sen und Han­nah und Frie­der Le­ke­busch. Zu­dem hat Frie­der in sei­ner spä­te­ren Ver­bin­dung mit Xe­nia, eben­so wie die Ro­sens, ein to­tes Kind zu be­kla­gen. Auch das star­ke In­ter­es­se an der Ar­chi­tek­tur des Hau­ses fin­det sich bei El­sa wie bei Han­nah. El­sa sucht aus die­sem Grund die Nä­he zu Max Tau­bert. Han­nah fin­det da­durch ei­nen Aus­tausch mit dem Jour­na­lis­ten Ju­li­us San­der, der die Teil­nah­me an der Aus­stel­lung arrangiert.

Über­haupt wim­melt es in dem Ro­man nur so von Paa­ren, die ih­re je­weils ei­ge­ne Ge­schich­te zu er­zäh­len ha­ben. Sei­en es Max Tau­bert und sei­ne Ehe­frau Lot­te, El­sa Ro­sen und der Na­zi Al­fred Ro­sen­berg oder auch Lu­is Le­ke­busch und Ana, die wie­der­um mit ih­rer Mut­ter, der Haus­an­ge­stell­ten Ma­ria, ei­ne Par­al­lel­paar zu El­sa Ro­sens Dienst­mäd­chen Li­se und de­ren kriegs­ver­sehr­tem Sohn bildet.

Um all die­se, zu­wei­len sehr di­ver­sen Ge­schich­ten, rankt sich das Ge­heim­nis des Gar­ten­zim­mers. Nie­der­ge­schrie­ben von El­sa Ro­sen im Jahr 1945 ge­langt es im Jahr 2001 in die Hän­de von Ju­li­us San­der, der den Brief Lu­is über­gibt. Aus­ge­rech­net Lu­is, der schon als Kind das Haus nie moch­te. Die geis­ter­haf­ten Ge­räu­sche, die er einst wahr­zu­neh­men mein­te, fin­den so ei­ne grau­en­vol­le Grundlage.

Der Jour­na­list Ju­li­us, ei­gent­lich nur ei­ne Bo­ten- und Rand­fi­gur, bin­det das Ge­sche­hen über die Jahr­hun­der­te noch­mals zu­sam­men und das so­gar dop­pelt. Eben­so wie Ana, der Toch­ter ei­ner Ar­beits­mi­gran­tin, prägt ihn das Ge­fühl au­ßen­ste­hend und kei­ner Grup­pe zu­ge­hö­rig zu sein. Ein Ge­fühl, das er nicht nur mit sei­nem ver­stor­be­nen Part­ner Fa­bi­an teilt, son­dern auch mit Max Tau­bert. Durch die un­ter­schied­lich ge­färb­ten Iris der Au­gen in­sze­niert Schä­fer sei­nen Ju­li­us San­der so­gar als le­ben­di­gen Ver­weis auf das fürch­ter­lichs­te Ka­pi­tel der Villenhistorie.

Da­mit ha­ben sich die Par­al­le­len, mit de­nen Schä­fer die Hand­lungs­ebe­nen sei­nes Ro­mans ver­bin­det, noch längst nicht er­schöpft. Sie zu ent­de­cken, lohnt die Lek­tü­re und hat mir bei­na­he mehr Spaß ge­macht, als die Hand­lung des Ro­mans, die hier und da zu vie­len Ne­ben­schau­plät­zen führt. Süf­fig zu le­sen ist die­ser kunst­voll kon­stru­ier­te Ro­man al­le­mal, nicht nur für Ar­chi­tek­tur­lieb­ha­ber und Re­cher­cheu­re jed­we­der Couleur.

Andreas Schäfer, Das Gartenzimmer, Dumont 2020

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