Barbara Zemans Debüt „Immerjahn“ ist eine Wunderkammer voll skurriler Geschichten
„Es kam ihm noch immer unwirklich vor, dass seine Sammlung, die so lang nur ihm gehört hatte, jetzt auch für andere sichtbar sein sollte. In ungefähr zwei Wochen würde er hier an fremden Personen vorübergehen. Sie würden hier stehen, ganz genau wie er gerade auch, nur hoffentlich ein bisschen gespannter, denn er, das dachte er sich, wann immer er in der letzten Zeit durch diese Säle ging, hatte sich sattgesehen. Manchmal erschrak er über den Verdacht, dass er Kunst vielleicht gar nicht mehr liebte, (…)“
Mit „Immerjahn“ legt Barbara Zeman pünktlich zum Bauhaus-Jubiläum einen Roman vor, in dessen Mittelpunkt ein Werk des Architekten Mies van der Rohe steht. Errichtet wurde der Bau auf dem Hagebuttenberg, einer Erhebung, deren steiniger Boden einst nur Dorngestrüpp zuließ. Jetzt wächst noch nicht einmal Unkraut dort, wo sich inmitten von Steinwiesen und Kieswegen die schlichte Strenge der Villa im Wasser eines großzügigen Bassins spiegelt.
Dieser Beton gewordene Traum eines Zementmoguls realisiert von einem der berühmtesten Architekten seiner Zeit zeigt, was es heißt, steinreich zu sein. Ein Roman, der in einem derartig kunstvollen und nicht ohne Ironie konstruierten Habitat spielt, verspricht amüsante Lektüre. Auch wenn sein Titel „Immerjahn“, wie der jüngste Spross der Fabrikantendynastie schlicht genannt wird, andere Assoziationen hervorruft. Klingt er doch kaum nach Reichtum und mondänem Gehabe, sondern nach Gutmütigkeit und Larmoyanz. Dies trifft den Charakter der Figur, der auch der Vorname Gotthold keine besondere Gunst höherer Mächte beschert. Immerjahn lässt sich auf der Nase herumtanzen und weiß nicht, sich zu wehren. Das Gestrüpp aus Erinnerungen und Erwartungen scheint ihn unbarmherzig an den Ort zu fesseln, wo einst die Hagebutten herrschten.
Da bahnt sich eine Veränderung an. Immerjahn möchte seine Bauhaus-Villa mit eindrucksvoller Privatsammlung der Öffentlichkeit zugänglich machen. Während er im Obergeschoss residiert, soll das Erdgeschoss zum Museum werden. Doch die Handwerker sind weg und es bleiben nur noch wenige Tage bis zur offiziellen Eröffnung. Die Nöte, Gedanken und Erinnerungen des Besitzers Gotthold Immerjahns prägen das Geschehen.
Geld ist keine Garantie für Glück, lautet eine vermeintliche Weisheit dieses Romans. Geld prägt aber das Wesen und die Erscheinung der Figuren ebenso wie das Gebäude. Dessen Inneres ist mit Kunst und Kuriosa zum Bersten gefüllt. Den Grundstein für die Kunstsammlung legte sein Großvater, Immerjahn setzt die Familientradition fort. Aus Leidenschaft und noch mehr aus Pflichtbewusstsein und dem Bedürfnis, etwas von dem im Übermaß vorhandenen Geld los zu werden. Besonderen Gefallen findet er an Werken der Klassischen Moderne. Immerjahn, der schon als Zwölfjähriger kunsthistorische Literatur verschlang und sich später selbst als Künstler versuchte, hat einen Blick für Kunst, seitdem eine Krankheit seinen Augen sonderbare Sensibilität verlieh. Doch durch all die unterschiedlichen Objekte, Gemälde, Ikonen, Memorabilien, Skulpturen und Ethnographica, nicht zu vergessen einem ausgestopften Gnu, schien ihm, „dass sein Haus eher einer Wunderkammer denn einem Museum glich“. Auch weil er sich schon lange nicht mehr darüber wundern kann, will er sie öffnen, und so vom fremden Staunen wieder das eigene lernen. Ob beides gelingt, ist Spannungsbogen und Antriebsfeder des Romans.
Während Immerjahn und seine Frau Katka mit dem Dauergast Holm, der Haushälterin und ihrem Mann die notwendigen Arbeiten immer wieder aufschieben — die Handwerker waren einer seltenen Spontanität Immerjahns zum Opfer gefallen – sinniert Immerjahn über seine Beziehung zu Katka. Sie haben sich von einander entfernt in letzter Zeit, nicht nur innerlich, was Katka angeht. Als sie sich kennenlernten, saß Katka Modell bei Fritzwalter, Künstler und Immerjahns bestem Freund. Wie seine Ehe so ist auch seine Freundschaft zu Fritzwalter abgekühlt, weshalb er es verwirft, Fritzwalter, Selfmade-Fachmann für Renovierungen aller Art, als Ersatz für die entlaufenen Handwerker anzuheuern. Das am Ende der Geschichte, Katka bei Fritzwalter landet, und dieser die Villa eröffnungsreif macht, sind zwei absehbare Momente.
Man könnte mir vorwerfen, ich hätte nun schon alles verraten, doch die Personen sind in diesem Roman nicht die herausragenden Elemente. Dies sind die Kunstwerke, die in hohem Takt auf den Seiten erscheinen. Das Buch selbst wird so zu einer Sammlung, einer multimedialen, denn neben Architektur und Bildender Kunst, finden sich Musik, Film und Literatur. Man mag sich Bildbände griffbereit legen oder Namen, wie den des berühmten Sammlers und Kunsthistorikers Bernard Berenson, recherchieren, für die besten Artefakt benötigt man keine Sekundärliteratur. Es handelt sich um die skurrilen Geschichten, die Zeman in ihre Handlung einstreut. Etwa die von Immerjahns Urgroßvater Vicktor, der das Feldbett „Vicktory“ erfand, welches sich prägend für die weiteren Geschicke der Familie erweisen wird. Oder wie Frau Manzur, die Haushälterin, die Augenentzündung des kleinen Gotthold auf eine archaische Weise heilt, die an Beuys Fettverehrung erinnert. Oder die Geschichte des Hagebuttenbergs, die im Ton alter Legenden von einer Frau erzählt, die wieder jung werden möchte. So wie der Hagebuttenberg selbst, der sich am Ende dieser Geschichte als Sammelbecken historischer Relikte erweist, so ist der Roman selbst eine Sammlung skurriler Stories, an denen ich meine Freude hatte.
Die Figuren hingegen treten dahinter stark zurück. Sie verharren in ihrer zuweilen klischeehaften Rolle. Fritzwalter, der sich selbst überschätzende Künstler mit lautem Ego. Katka, die schöne, aber untreue Ehefrau. Holm, der brotlose Schöngeist und Schmarotzer. Selbst das Personal, Frau Mansur und ihr Mann Marek, bleiben trotz manchem köstlichen Spleen, die treusorgenden Diener.
Um was geht es also in diesem Roman? Er begleitet seine Hauptfigur beim Betrachten der Räume, des Gartens, der verschiedenen Architekturelemente sowie zahlloser Bilder. Er zeigt wie dieses Flanieren den Betrachter in Reflexionen, wie einzelne Kunstwerke ihn in die Vergangenheit versetzen und wie er mit ihrer Hilfe seine Beziehungen beleuchtet. Barbara Zeman zeigt, was Kunst vermag, und stellt die Frage nach ihrem Kern. Man trifft unter den von Zeman aufgerufenen Bildern, die sich einer Petersburger Hängung ähnlich zusammendrängen, viel Bekanntes, es gibt jedoch auch vieles zu entdecken. Wer sich durch die Seiten dieser Ausstellung hindurch gelesen hat, versteht, was Immerjahn in seinen Bildern zu finden hoffte.
Klingt nett! Ich mag Bücher, die nebenbei noch massenhaft kleine Geschichten erzählen.