Schloss Bruchsal. Die Beletage – Barocke Pracht neu entfaltet, Hrsg. Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg
„Auf Erl. V. 16. XI. 43 – Die restlichen Gobelins sowie Gemälde des hiesigen Schlosses sind am 10. Januar d. Js. Hier verladen und ins stillgelegte Amtsgefängnis in Bonndorf überführt worden. Sie sind in Zelle 13 im Obergeschoss untergebracht. Das Gemälde No. 123 konnte seiner Größe wegen nicht durch die Zellentür gebracht werden und musste deshalb einstweilen auf dem durch eine eiserne Gittertür abgeschlossenen Gang aufgestellt werden. Einige von den geschnitzten Rahmen dieses Bildes beim Transport abgebrochene Holzteilchen sind in Papier verpackt in der Zelle 13 niedergelegt.“
Das großformatige Gemälde No. 123 ist ein Porträt Franz Christoph von Hutten (1706–1770), das den Fürstbischof neben einen Pagen zeigt. Den Hintergrund bildet seine Residenz, Schloss Bruchsal, deren Inneres durch Huttens Gestaltungseifer geprägt wurde. Von der Sicherheitsverwahrung hinter Gittern berichtet im obigen Zitat die Hochbauabteilung Karlsruhe am 25.1.1944. Wie unzählige andere Kunstschätze wurde in der letzten Phase des Krieges auch die wertvolle Innenausstattung des Bruchsaler Schlosses in vermeintlich sichere Depots ausgelagert, wie Petra Pechaček in einem Beitrag in diesem Sammelband darlegt. Ein Gefängnis schien nicht die schlechteste Wahl. Allerdings führten weitere Ortswechsel zu beträchtlichen Schäden an Huttens Porträt, welches heute in restauriertem Zustand erneut an seinem einstigen Bestimmungsort in Bruchsal zu betrachten ist. Im Roten Zimmer der Beletage, wo Hutten einst Audienz hielt, empfängt das Porträt die Besucher der seit 2017 wieder zugänglichen Schlossräume.
Welche Pracht sie dort erwartet, wie diese entstand, verging und wieder zu Glanz gebracht wurde, erschließt der im Nünnerich-Asmus Verlag erschienene und von Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg herausgegebene Band „Schloss Bruchsal“. In vier Teilen und insgesamt 31 Beiträgen berichten 22 Autoren, darunter Historiker und Kunsthistoriker, Restauratoren und Konservatoren sowie Architekten über Geschichte, Ausstattung und Wiedereinrichtung des Schlosses.
Anschaulich schildert Thomas Adam die Voraussetzungen der Residenz durch die Schenkung Heinrich III. (1016–1056) an Konrad I., Bischof von Speyer (1056–1060), wodurch in der Folge „die dramatischsten Kapitel der Bruchsaler Geschichte in Speyer mitgeschrieben“ wurden. Nachfolgende Beiträge widmen sich den hochgestellten Bewohnern der Beletage, deren Vorlieben und Gewohnheiten. So geht Christian Katschmanowski dem familiär begründeten „Bauwurmb“ von Damian Hugo von Schönborn (1676–1743) nach. Durch seine Verbindungen konnte er die begabtesten Architekten seiner Zeit engagieren. Unter diesen ragte besonders Balthasar Neumann (1687–1753) hervor, der das Treppenhaus des Schlosses schuf, auf dessen Wirkung Uta Coburger in ihrem Beitrag über Stuckornamente eingeht.
Vergessen werden auch nicht die dienenden Bewohner des Schlosses, denen sich Andrea Huber und Elena Hahn in ihren Aufsätzen widmen. Unter Hutten zählten mehr als 200 Personen zum Hofstaat, darunter die in den beiden Mezzaningeschoßen untergebrachte Dienerschaft sowie weitere Hofangehörige vom Chirurgen bis zum Stallmeister in den zahlreichen Nebengebäuden.
1722 erfolgte die Grundsteinlegung des Schlosses, der Corps de Logis konnte zehn Jahre später bezogen werden. Die Ausstattungsansprüche Schönborns, die sich in den Gemäldeaufträgen des Fürstbischofs fassen lassen, beleuchtet Hahn. Sein Nachfolger in Amt und Residenz, Fürstbischof Franz Christian von Hutten forcierte, so Huber, bereits die Modernisierung nach seinem exquisiten Geschmack, während seine Amtsnachfolger durchaus bescheidener blieben.
Eine grundlegende Erneuerung, was insbesondere die technische Ausstattung betraf, erfolgte, wie Sandra Eberle zeigt, unter Markgräfin Amalie von Baden (1754–1832). Sie gestaltete ihren Witwenwohnsitz in klassizistischem Stil, ließ Bäder einbauen und versuchte den Park in einen Landschaftsgarten zu verwandeln. Amalie von Baden, — ein Porträt des Stuttgarter Hofmalers Philipp Friedrich Hetsch (1758–1838) zeigt sie als moderne selbstbewusste Frau, so die spannend zu lesende Neuzuschreibung Patrick Heinsteins -, zog internationalen Adel nach Bruchsal. 1814 weilte Kaiser Alexander I. von Russland für einige Tage im Schloss.
Von wem Schloss Bruchsal nach dem Auszug seiner letzten adligen Bewohner besucht wurde, aber auch, wer es links liegen ließ, schildert Michael Hörmanns lesenswerter Beitrag.
Der Schwerpunkt des Sammelbandes liegt jedoch auf der Repräsentation, dem Zusammenwirken von Pracht und Macht, was sich besonders an der vorbildlich restaurierten und seit dem letzten Jahr wieder zugänglichen Beletage ablesen lässt. Das Mühen, Wissen und Können der Restauratoren zeigen die beiden letzten Teilkapitel „Zerstörung und Wiederaufbau“ und „Die Wiedereinrichtung der Beletage“. Darin schildert Peter Huber eindringlich die Bombenzerstörung am 1.3.1945, während Thomas Adam vom mühsamen Wiederaufbau, Ute Engel von der Wiederherstellung der Deckenmalereien, Mona Zimmer über das Museum und Michael Hörmann über dessen Rezeption berichten.
Die Anstrengungen der modernen Wiedererrichtung dokumentieren die Beiträge der Architekten Günter Bachmann und Claudia Reisch. Die Restaurierungsarbeiten an Tapisserien, Gemälden und Möbel schildern Diane Lanz, Monika Kehrli-Bürger, Anna Haas und Katharina Wacker. Das dabei auch auf moderne Erfordernisse Rücksicht genommen wurde, zeigen die durch Walter Hiller-König vorgenommene Kombination der Eisenöfen mit den Ableitungen der Klimaanlage.
Kritisch anzumerken sind Doppelungen, die bei 31 Beiträgen, denen das gleiche Sujet zugrunde liegt, unvermeidlich sein mögen. Wenn allerdings Einzelheiten, wie z.B. das Klappbett des Kammerlakaien zwischen Garderobe und Schlafzimmer des Fürstbischofs in zwei aufeinander folgenden Beiträgen (Huber; Hahn) zum Teil widersprüchlich dargestellt werden, wirft dies Fragen auf. Auch auf die doppelte Abbildung von Fotografien, u.a. S. 235 und S. 242, S. 248 und S. 454, hätte verzichtet werden können. Im Tapisserien-Beitrag (Rohne) stellt sich bei dem Grotesken-Stück aus der Manufaktur Behagle die Frage, warum als Vorbild auf die „exotische Chinamode“ und nicht auf die offensichtliche Anlehnung an die Römischen Wandmalerei verwiesen wird?
Es bleibt, dem Schloss zahlreiche Besucher zu wünschen, die der von Mona Zimmer entwickelte Mediaguide durch die Räume führen kann. Zur Vorbereitung empfiehlt sich der vorgestellte Band, der Wissenswertes auf anschauliche und unterhaltsame Weise vermittelt und dank der zahlreichen, großformatigen Abbildungen auch Interessierten dienen kann, die weit weg wohnen. Vielleicht kommen sie mal in die Gegend und werden Bruchsal nicht wie einst Mark Twain links liegen lassen, auch wenn oder gerade weil, das Schloss den Rest des Städtchens überragt.