Ghostbusters

Christine Wunnicke lässt in ihrer Wissenschaftssatire „Katie“ Empirie gegen Esoterik antreten

Der Schrank war ihr Hei­lig­tum, ihr Ar­beits­platz, das Zen­trum ih­res Ruhms. Am Schrank hing al­les. Der Schrank war der Grund, war­um Flo­rence zu Mut­ters gro­ßer Qual nie mehr im Sa­lon und nur stets im Wohn­zim­mer emp­fing. In den Schrank trat sie hin­ein, wenn die Gäs­te be­reit­sa­ßen, hier ließ sie sich fes­seln und noch ein­mal fes­seln, ih­re Zöp­fe an die Wand­ha­ken bin­den, ih­ren Kopf in Tü­cher und Schals wi­ckeln, bis sie kaum noch Luft be­kam. Hier hauch­te sie ihr „fes­ter, fes­ter”, wenn man zim­per­lich mit ihr um­ging, was man lei­der oft tat, vor lau­ter Re­spekt. Hier ver­harr­te sie schwei­gend, zu­wei­len auch lei­se seuf­zend, wäh­rend Mut­ter drau­ßen den Hym­nen­ge­sang an­lei­te­te, und wartete.“

Seit Men­schen­ge­den­ken ist der Geis­ter­glau­be ein Pro­dukt des Ha­derns mit der Ver­gäng­lich­keit al­les Ir­di­schen. Aus dem Wunsch mit dem Jen­seits und den To­ten in Kon­takt zu tre­ten ent­wi­ckel­te sich im 19. Jahr­hun­dert ein re­gel­rech­ten Boom, der Spi­ri­tis­mus. Aus­ge­löst wur­de er durch Er­eig­nis­se, wie die Klopf-Kom­mu­ni­ka­ti­on mit ei­nem Er­mor­de­ten, die Fa­mi­lie Fox in ih­rem Haus in Hydes­ville trieb und die 1848 weit über den Staat New York hin­aus für Fu­ro­re sorg­te. Der Fort­schritt und die mo­der­nen Tech­ni­ken der Zeit führ­ten nicht zu ei­ner Ab­leh­nung die­ser Sehn­süch­te. Im Ge­gen­teil, durch die Ver­bin­dung von Em­pi­rie und Eso­te­rik ent­wi­ckel­te man­cher Zeit­ge­nos­se ge­schickt ein Ge­schäft. So der fran­zö­si­sche Fo­to­graf Jean Bu­guet, der um 1870 mit Hil­fe von Staf­fa­ge und dop­pel­ter Be­lich­tung die Ver­bli­che­nen wie­der ins er­sehn­te Licht setz­te. Al­ler­dings for­der­te der auf­ge­klär­te Geist der Epo­che ge­ra­de­zu her­aus, das ver­meint­lich Un­er­klär­li­che un­ter die Lu­pe zu neh­men. Die Geis­t­er­schei­nun­gen wur­den zum Fall für wis­sen­schaft­li­che Aka­de­mien, de­ren Mit­glie­der das Me­di­um und sei­ne Tran­ce­per­sön­lich­keit überprüften.
Ein sol­ches Ge­spann bil­de­ten auch Flo­rence Cook, die in ge­fes­sel­tem Zu­stand Ka­tie King her­vor­brach­te, und Sir Wil­liam Croo­kes, Na­tur­wis­sen­schaft­ler und Mit­glied der Roy­al So­cie­ty, der an­ge­se­hens­ten aka­de­mi­schen Ver­ei­ni­gung sei­ner Zeit. Chris­ti­ne Wun­ni­cke macht die­se skur­ri­le His­to­rie zum Ge­gen­stand ih­res neu­en Ro­mans Ka­tie und be­weist dem Le­ser gleich zu Be­ginn, daß sie sich, so fan­tas­tisch sie auch an­mu­ten mag, tat­säch­lich zu­ge­tra­gen hat.
Im ers­ten Ka­pi­tel prä­sen­tiert sie die na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Leis­tun­gen Crookes.
Der Vir­tuo­se der che­mi­schen Spek­tro­gra­phie“ und Her­aus­ge­ber der Che­mi­cal News be­sucht den von ihm ver­ehr­ten Mi­cha­el Fa­ra­day. Doch der Ent­de­cker der elek­tro­ma­gne­ti­schen In­duk­ti­on kann dem jün­ge­ren Kol­le­gen in Fach­fra­gen nicht mehr wei­ter­hel­fen. Der Spra­che nicht mehr mäch­tig, steht er krank und greis an der Schwel­le zum Tod.
In ei­nem Ro­man über spre­chen­de Ver­stor­be­ne zu­nächst ei­nen sprach­lo­sen Le­ben­den auf­tre­ten zu las­sen, kenn­zeich­net die sub­ti­le Iro­nie Wun­ni­ckes. Gleich­zei­tig wird der Tod, den auch Croo­kes durch den Ver­lust sei­nes jün­ge­ren Bru­ders er­fah­ren muss­te, zum The­ma. Schmerz­haft wird dem Wis­sen­schaft­ler be­wusst, „dass al­le Men­schen star­ben, ei­ner nach dem an­de­ren, er selbst, sei­ne Frau, sei­ne Kin­der“.
Sein Kon­trapart und For­schungs­ob­jekt Flo­rence Cook, „das be­rühm­tes­te ma­te­ria­li­sie­ren­de Me­di­um von Lon­don-Ost“ wird von ei­nem Fan in Croo­kes Haus­halt ver­mit­telt. Mit Hil­fe sei­nes As­sis­ten­ten soll der Wis­sen­schaft­ler die Frömm­le­rin von un­ge­heu­rer Bieg­sam­keit mit Nei­gung zu Dieb­stäh­len und ei­ner Schwä­che für Pi­ra­ten über­prü­fen. Im La­bor durch­leuch­ten sie Flor­ries Ma­ni­fes­ta­tio­nen un­ter Ein­satz von Ge­rät und Tech­nik. Sind die spi­ri­tis­ti­schen Kräf­te elek­trisch, wirkt Mes­me­ris­mus, die Rei­chen­bach-Kraft oder ist es ein­fach nur Hys­te­rie und Hal­lu­zi­na­ti­on? Mit na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Me­tho­den al­lei­ne lässt sich das Phä­no­men nicht klä­ren. Da ver­sagt auch der Faraday’sche-Indikator, der wäh­rend ei­ner Ex­pe­di­ti­on zur Son­nen­fins­ter­nis nach Oran, mit­ten im Sturm der Bis­ka­ya den Hum­bug des Tisch­rü­ckens ent­lar­ven soll.
In der ihr ei­ge­nen sub­ti­len und ge­ra­de des­we­gen meis­ter­haf­ten Iro­nie schil­dert Wun­ni­cke die­ses amü­san­te Ka­pi­tel. Doch auch in den an­de­ren herrscht ein ste­tes Au­gen­zwin­kern. Bei Rat­lo­sig­keit greift Croo­kes zum Cock­tail aus Brau­se­pul­ver und Chlo­ro­dy­ne, wäh­rend sei­ne Ver­su­che mit Queck­sil­ber zu Fle­cken im Mund­raum und Ver­lus­ten im In­tel­lekt füh­ren. Sei­ne Frau Nel­ly hin­ge­gen, von ih­ren stän­di­gen Schwan­ger­schaf­ten ans Haus ge­bun­den, schwebt durch die­ses wie ein Geist und er­schreckt das Ge­sin­de. We­nigs­tens ist sie nicht in ge­spens­ti­ges Weiß ge­wan­det, son­dern trägt we­gen fa­mi­liä­rer To­des­fäl­le schwar­ze Trau­er. Der bes­te Witz je­doch ist, daß Flor­ries Va­ter, der als Set­zer in ei­ner Dru­cke­rei ar­bei­tet, im Ge­gen­satz zu den In­tel­lek­tu­el­len als ein­zi­ger un­be­ein­druckt bleibt von den ver­meint­lich über­na­tür­li­chen Kräf­ten sei­ner Toch­ter. Al­le an­de­ren wol­len se­hen, wie Flo­rence aufs Bru­tals­te ge­fes­selt und ein­ge­zwängt die be­zau­bern­de Ka­tie materialisiert.
Die­se Pi­ra­tin aus dem 17. Jahr­hun­dert, zeit­wei­se ver­ehe­licht mit dem be­rühm­ten Frei­beu­ter Hen­ry Mor­gan, be­tört nicht nur die Zu­schau­er. Sie ver­hilft „halb Mäd­chen, halb Kna­be“ den Haus­be­woh­nern zur Er­fül­lung ero­ti­scher Sehnsüchte.
Chris­ti­ne Wun­ni­cke, für his­to­ri­sie­ren­de Wis­sen­schafts­pos­sen be­kannt, über­zeugt auch im Ton­fall, den sie Zeit und Su­jet an­passt. Croo­kes ver­fällt über­wäl­tigt vom Un­er­klär­li­chen ins „Rumi­nie­ren“. „Er merkt, wie Phi­lo­so­phi­sches ihn an­kam, was zu­wei­len ge­schah, wenn er von ei­ner Dis­zi­plin nichts ver­stand.“ Auch durch die­sen Trick ge­lingt es ihr sich mit Iro­nie ei­nem Phä­no­men zu nä­hern, das uns trotz zeit­li­cher Di­stanz gar nicht so fern­liegt. Wer sich ganz oh­ne va­ti­ka­ni­sche Hil­fe da­ge­gen wapp­nen möch­te, der le­se die­ses Buch.

Christine Wunnicke, Katie, Berenberg Verlag, 2017

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