Über Bären und Bücher in Baden-Baden

Das Sommer-Quartett von Lesenswert mit Felicitas Hoppe als Gast

Es sind die klei­nen Ver­än­de­run­gen, die das Ver­ge­hen der Zeit mar­kie­ren, und sei­en es nur die lo­ka­len. So liegt der neue Ta­gungs­ort des li­te­ra­ri­schen Le­sens­wert-Quar­tetts seit Be­ginn die­ses Jah­res in Ba­den-Ba­den und ist da­mit vom pro­fa­nen Main­zer KUZ in das mon­dä­ne Pa­lais Bi­ron ge­wech­selt. Nicht nur der Ort ist ein an­de­rer, auch die Zu­sam­men­set­zung der Run­de hat sich ver­än­dert seit ih­ren An­fän­gen beim Le­sens­wert-Vor­gän­ger „Li­te­ra­tur im Foy­er“. Schon da­mals strit­ten mit den Mo­de­ra­to­rin­nen Thea Dorn und Fe­li­ci­tas von Loven­berg die Kri­ti­ker De­nis Scheck und Ijo­ma Man­gold über neue Bü­cher der Sai­son. Und dies auf an­re­gend un­ter­halt­sa­me Wei­se, wie ich 2013 no­tier­te.

Vor ein paar Wo­chen er­hielt ich ei­ne Ein­la­dung des SWR und fuhr am 12. Ju­ni zur Auf­zeich­nung des Som­mer-Quar­tetts. Ba­den-Ba­den liegt et­wa ei­ne Au­to­bahn­stun­de von mei­nem Wohn­ort ent­fernt, zum Glück be­scher­te die Pfingst­zeit nicht nur den Ba­densern güns­ti­ge Fe­ri­en, son­dern auch mir staufreie Fahrt. Ich hat­te al­so Zeit für ei­nen Spa­zier­gang durch die Lich­ten­ta­ler-Al­lee, an die der groß­zü­gi­ge Park des Pa­lais Bi­ron grenzt, um dort Hun­de al­ler Ras­sen, Ros­se und Rus­sen be­wun­dern zu können.

Kurz vor 19 Uhr ge­sell­te ich mich zum war­ten­den Pu­bli­kum, cir­ca 40 bis 50 Zu­schau­er, die im Sa­lon Ba­den-Ba­den rund um den zen­tra­len Kri­ti­ker­tisch plat­ziert wur­den. In solch in­ti­mer Run­de kommt man dem Ge­sche­hen re­la­tiv nah und kann die Dis­kus­si­on bes­tens ver­fol­gen. Ein­zig die Sicht-Kor­ri­do­re für die Ka­me­ras müs­sen frei blei­ben, sehr zum Be­dau­ern ei­ner äl­te­ren Da­me, der so der Blick auf De­nis Scheck ver­wehrt blieb. Die­ser schil­der­te zum Sound­check vor Dreh­be­ginn zu­nächst Lust und Last des Best­sel­ler­le­sens und mo­nier­te die Flut der Sach­bü­cher, die sich nicht ent­blö­den „dem Le­ser zwi­schen zwei Buch­de­ckeln je­den Bä­ren auf­zu­bin­den“.

Bild: SWR

Dann surr­ten die fünf Ka­me­ras los und im Pa­lais Bi­ron, wo einst Sis­si zu Gast war, frag­te Scheck sei­ne Kol­le­gen, wie sie ih­ren Le­se­stoff aus­wäh­len. Die Neu­gier auf The­men oder die Ver­traut­heit mit Au­toren be­ein­flus­sen die Wahl von In­sa Wil­ke, freie Li­te­ra­tur­kri­ti­ke­rin und seit Fe­bru­ar neu­es Mit­glied des Quar­tetts. Die Schrift­stel­le­rin Fe­li­ci­tas Hop­pe, Gast des heu­ti­gen Abends, ver­traut dem Zu­fall, als frei­er Geist las­se sie sich von den Bü­chern fin­den. Wäh­rend Ijo­ma Man­gold, Lei­ter des Li­te­ra­tur­res­sorts der ZEIT, be­ruf­li­chen Ver­pflich­tun­gen un­ter- je­doch lie­ber der Aus­strah­lung ei­nes Ti­tels er­liegt. Die in­ter­es­san­te Fra­ge je­doch, nach wel­chen Kri­te­ri­en ei­gent­lich die Ro­ma­ne die­ser Run­de aus­ge­wählt wer­den, wur­de nicht ge­stellt. Al­ler­dings mach­te der Ver­lauf bald klar, daß es sich bis auf ei­ne Aus­nah­me kei­nes­wegs um Fa­vo­ri­ten han­deln muss.

Die­se vier Ti­tel „Trutz“ von Chris­toph Hein, Ka­ri­ne Tuils „Die Zeit der Ru­he­lo­sen“, De­nis John­sons „Die la­chen­den Un­ge­heu­er“ so­wie „Freie Geis­ter“ von Ur­su­la K. Le Gu­in hat­ten mich zu­nächst we­nig ge­reizt. Als Vor­be­rei­tung griff ich den­noch zu Ka­ri­ne Tuils Buch. Ich war al­so ge­spannt, ob die Run­de mir die üb­ri­gen schmack­haft ma­chen könn­te, und was sie zu mei­ner Lek­tü­re sa­gen würden.

Zum Ein­stieg führ­te Fe­li­ci­tas Hop­pe in den neu­en Ro­man von Chris­toph Hein. „Trutz“ er­zählt die deut­sche Ver­gan­gen­heit der letz­ten 100 Jah­re an der Ge­schich­te von zwei Fa­mi­li­en. Schafft Hein mit sei­ner li­te­ra­ri­schen Fik­ti­on ei­nen Mehr­wert ge­gen­über his­to­ri­schen Dar­stel­lun­gen? Wil­ke ver­nein­te die­se Fra­ge Schecks. Sie be­dau­er­te, daß Hein die im Pro­log an­ge­kün­dig­te The­ma­tik über die Macht der Ar­chi­ve, über das Er­in­nern und Ver­ges­sen, nicht ein­lö­se. Wie sie fand auch Man­gold den Ro­man zu kon­ven­tio­nell, „ein mat­ter His­to­ri­en­schin­ken mit ei­nem an sich tol­len The­ma“. Fe­li­ci­tas Hop­pe zeig­te kaum mehr Be­geis­te­rung, die gu­te Idee sei von der Stoff­men­ge er­schla­gen. Ein­zig Scheck fühl­te sich bei der Lek­tü­re gut un­ter­hal­ten „wie im Breit­wand­ki­no“, konn­te die Kol­le­gen aber nicht über­zeu­gen. Fe­li­ci­tas Hop­pe schloß mit dem schö­nen und oft wah­ren Satz „In je­dem di­cken Buch steckt ein dün­nes Buch, das schreit, lass mich raus“.
Lei­der ist auch das nächs­te Buch dick. 520 Sei­ten zählt Ka­ri­ne Tuils Ro­man, der von ei­nem Af­gha­ni­st­an­rück­keh­rer, ei­nem po­li­ti­schen Auf­stei­ger und ei­nem Su­per­rei­chen im heu­ti­gen Frank­reich er­zählt. Ich hat­te ihn be­reits vor­ab ge­le­sen, trotz span­nen­der Plot­füh­rung mit zu­neh­men­der Un­lust.

Schon in sei­ner Prä­sen­ta­ti­on ur­teil­te Man­gold, die­ses Buch rich­te den dia­gnos­ti­schen Blick auf die Ge­sell­schaft, sei aber kei­ne Li­te­ra­tur. Dem wird in der wei­te­ren Dis­kus­si­on nicht wi­der­spro­chen. Be­son­de­re Kri­tik ern­te­ten die Fi­gu­ren des Ro­mans, „Papp­ka­me­ra­den“, de­nen je­de Ent­wick­lung feh­le. Es fiel das Wort Tri­vi­al­li­te­ra­tur. Ich hät­te den Dreh­ter­min ab­war­ten sollen.

In­ter­es­san­ter scheint „Die la­chen­den Un­ge­heu­er“, der 2014 in den USA er­schie­ne­ne letz­te Ro­man des un­längst ver­stor­be­nen De­nis John­son. In­sa Wil­ke hoff­te, daß aus dem Nach­lass ein bes­se­rer Ro­man auf­tau­chen wer­de und äu­ßer­te den zwei­ten Merk­satz des Abends: „Auch dün­ne Bü­cher kön­nen sich ganz schön dick an­füh­len“. Ihr Ur­teil „Ne­ben­werk“ er­reg­te den Wi­der­stand der männ­li­chen Kol­le­gen. Man­gold fühl­te sich dem Sog des Ro­mans er­le­gen, der par­odie­haf­te Zü­ge zei­ge, aber auch gro­ße Fra­gen ver­han­de­le. Auch Scheck amü­sier­te die­se Agent ge­gen Agen­ten Ge­schich­te. Es sei eben ein „ech­tes Män­ner­buch“, schlug Hop­pe sich auf die Sei­te Wilkes.
Ob dem tat­säch­lich so ist, zeigt ein Blick in die Le­se­pro­be. Die­se ist durch­aus span­nend, was ich von ers­ten Sei­ten des nächs­ten Ro­mans lei­der nicht be­haup­ten kann. „Freie Geis­ter“, den 1969 erst­mals er­schie­ne­nen und nun im S. Fi­scher Ver­lags­ab­le­ger Tor neu edier­ten Ro­man der ame­ri­ka­ni­schen Au­torin, fand ich schwer zu­gäng­lich. Den Kri­ti­kern, bis auf Scheck, der ihn vor­stell­te, ging es ähn­lich. Sie be­rich­te­ten von Ar­beit und Rät­seln, die ge­löst wer­den müss­ten. Man­gold er­in­ner­te die phi­lo­so­phi­sche The­ma­tik die­ser SF-Welt an ein Fla­schen­schiff, man be­wun­de­re die Fä­hig­keit des Kon­struk­teurs, fra­ge sich aber, war­um er sich die Mü­he mit der Fla­sche mache.

Dies sind mei­ne Ein­drü­cke von die­ser Li­te­ra­tur-Sen­dung, de­ren Dis­kus­sio­nen zum Teil an­re­gen­der wa­ren als ih­re Ge­gen­stän­de. Wer ei­ne Lek­tü­re für den Som­mer sucht, wird eher bei den ab­schlie­ßen­den per­sön­li­chen Tipps fün­dig wer­den. Ich fa­vo­ri­sie­re Fe­li­ci­tas Hop­pes Emp­feh­lung „Denn mein Herz ist frisch ge­bro­chen“, Ge­dich­te von Do­ro­thy Parker.

Aus­ge­strahlt wird das Le­sens­wert-Quar­tett mit De­nis Scheck, In­sa Wil­ke, Ijo­ma Man­gold und Fe­li­ci­tas Hop­pe im SWR am Don­ners­tag, den 13.7. um 23:15 Uhr und am Sonn­tag, den 16.7. um 8:15 Uhr, zu­dem in 3sat am Sonn­tag, den 16.7. um 10:15 Uhr.

Ti­tel:
Chris­toph Hein, Trutz, Suhr­kamp Ver­lag 2017, 477 S.
Ka­ri­ne Tuil, Die Zeit der Ru­he­lo­sen, Ull­stein Buch­ver­la­ge 2017, 520 S.
De­nis John­son, Die la­chen­den Un­ge­heu­er, Ro­wohlt Ver­lag 201, 272 S.
Ur­su­la K. Le Gu­in, Freie Geis­ter, S. Fi­scher Ver­la­ge Tor, 432 S.

Emp­feh­lun­gen der Kritiker:
Do­ro­thy Par­ker, Denn mein Herz ist frisch ge­bro­chen, Ge­dich­te. Englisch/Deutsch, Dör­le­mann Ver­lag, 400 S. (Fe­li­ci­tas Hoppe)
Si­mon Strauß, Sie­ben Näch­te, blu­men­bar Ver­lag, 144 S. (Ijo­ma Mangold)
Ul­ri­ke Ed­schmid, Ein Mann, der fällt, Suhr­kamp Ver­lag, 187 S. (In­sa Wilke)
To­bi­as Blu­men­berg, Der Le­se­be­glei­ter, www.lesebegleiter.de, 807 S. (De­nis Scheck)

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