Willa Cather schildert in „Das Haus des Professors” ihre eigene Sinnkrise und die Entdeckung der Cliffhäuser
„Als ich oben auf der Mesa ankam, fielen die Sonnenstrahlen schräg durch die kleinen, verkrüppelten Pinons – das Licht umflutete sie so rot wie ein Feuer im Tageslicht, ja, sie schwammen förmlich darin. Endlich hatte ich wieder das wunderbare Gefühl, das ich sonst nirgends gehabt habe, das Mesa-Gefühl, in einer Welt zu sein über der Welt.“
Während der Vorbereitungen zu einer Reise stößt man bisweilen auf Lektüren, die den Ort der Sehnsucht fiktional in Szene setzen. Das klingt für mich nicht immer interessant, aber kürzlich wurde ich doch überzeugt. Nicht zuletzt durch die Fama, die die Schriftstellerin Willa Cather (1873–1947) umgibt. Besonders die Lobeshymnen anlässlich der Neuübersetzung ihres Romans „Meine Antonia“ durch Stefanie Kremer waren mir noch in Erinnerung. So entschied ich mich für „Das Haus des Professors“, erschienen im Jahr 1925, als literarische Begleitung für meine Reise nach Mesa Verde.
Mesa Verde liegt als Nationalpark in Colorado. Seine Besonderheit sind die archäologischen Relikte der Anasazi. Ihre in den ausgewaschenen Hohlräumen des Canyonabhangs angelegten Wohngebäude sind bis heute erhalten. Die frühesten dieser Lehmziegelkonstruktionen stammen aus dem 11. Jahrhundert. Als ihre Bewohner gegen 1300 nach schlechten Erntejahren diesen Lebensraum aufgaben, zogen sie nach Süden an den Rio Grande. Die Gebäude blieben seitdem sich selbst überlassen. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden sie von Cowboys wieder entdeckt. Diese waren auf der Suche nach ihrer Viehherde, von der sich die cleversten Exemplare durch einen gefährlichen Fluss schwimmend in die Freiheit geflüchtet hatten.
Zunächst war ich also auf ein wenig Wildwest-Romantik gefasst, doch bevor ich den Wunsch, daß diese nicht überhand nehme und mich so unendlich langweilen würde, auch nur verspürt hatte, landete ich mitten in einer professoralen Midlifecrisis. Die Hauptperson des Romans war nicht der Entdecker Mesa Verdes, die dort übrigens als Blue Mesa bezeichnet wird, sondern ein alternder Professor. Dieser St. Peter, ‑hier schon eine Bitte an die Neuübersetzung, die ich mir sehr wünsche: macht aus dem St. ein Stuart, sonst ist die deutsche Leserin doch sehr irritiert‑, also dieser Professor und durch seinen Namensvorsatz quasi heilige Historiker befindet sich nach der langjährigen Arbeit an einer vielbändigen Ausgabe, die als Standartwerk seines Forschungsgebietes sich auch finanziell als äußerst erfolgreich entpuppt, in einer Sinnkrise. Sie deutet sich zunächst nur an. Während seine Ehefrau das Vermögen in einem neuen Domizil anlegt, hadert Stuart P. mit dieser Neuentwicklung. Er möchte sein altes Arbeitszimmer nicht aufgeben. Der Rückzugs- und Inspirationsort, der kurioserweise der schwarzen Schneiderin als saisonale Nähstube dient, birgt seine wichtigsten Erinnerungen. Der Blick aus dem Fenster auf den See lässt ihn in seine Kindheit eintauchen, die alten Schneiderpuppen von Augusta verwandeln seine erwachsenen Töchter wieder zu kleinen Mädchen. Jetzt sind sie ihm fremd, erwachsene Frauen mit seltsamen Bedürfnissen, die ihm noch dazu skurrile Kerle als Schwiegersöhne eingebracht haben. Besonders mit Rosamond hadert er. Sie ist neureich und oberflächlich, seitdem sie aus der Erbschaft ihres ersten, im Krieg gefallenen Verlobten, Profit geschlagen hat. Oder besser ihr Ehemann, der dies vielleicht nur aus diesem Grund geworden ist.
Ihr verstorbener Verlobter, Tom Outland, der als bildungsfernes Wunderkind plötzlich beim Professor auftaucht, und nach forcierter Nachhilfe innerhalb kürzester Zeit zum erfolgreichen Naturwissenschaftler wird, dieser Tom, der als Waisenkind zunächst Laufbursche bei der Eisenbahn und schließlich Cowboy wurde, ist, wir ahnen es, der Entdecker der Cliffhäuser.
Er hatte nachdem er wie seine Kühe den Fluss durchquert hatte, nicht nur diese sondern auch die Adobebauten der Anasazi mit allen ihren Artefakten, wie Töpfen, Decken und anderen Alltagsgegenständen entdeckt.
„Es war eine so mühsame Kletterei, daß ich unter meinen nassen Kleidern bald schweißüberströmt war. Als ich stehenblieb, um Atem zu holen, blickte ich zufällig an der Wand des Canyons in die Höhe. Ich wünschte, ich könnte Ihnen beschreiben, was ich dort sah – ich meine, so , wie ich es an jenem ersten Morgen sah, hinter einem Schleier feinen Schnees. Hoch über mir, etwas dreihundert Meter hoch, und in eine große Höhle der Klippenwand hineingebaut, erblickte ich eine kleine schlafende Stadt aus Stein. Sie lag so still wie eine Skulptur – und sie war es auch. Alles bildete ein geschlossenes Ganzes, als läge ihm ein künstlerischer Plan zugrunde: blasse, kleine Häuser aus Ton, die sich dicht aneinander schmiegten und übereinander thronten, mit Flachdächern, schmalen Fenstern und geraden Wänden, und in der Mitte der Gruppe ein runder Turm.“
Zusammen mit seinem Freund errichtete er auf dem Hochplateau der Mesa eine Hütte, sicherte und katalogisierte die Funde. In einem ausführlichen Bericht hielt Tom Entdeckungen und Erlebnisse fest, bis er nach der Rückkehr aus Washington, wo er finanzielle staatliche Unterstützung beantragen wollte, feststellen musste, daß sein Freund alle Funde an einen Deutschen verkauft hatte. Nur das Tagebuch hatte er ihm gelassen und ebenso das Geld, mit dem Tom seine Ausbildung finanzieren sollte. Dieser Bericht bildet als „Tom Outlands Geschichte“ das zweite Buch in Cathers Roman. Das erste trägt den Titel „Die Familie“, im abschließenden dritten Teil „Der Professor“ erfahren wir, wie Stuart P. mit Tom erneut in die Mesa reiste, um die Cliffhäuser zu sehen und um die versteckten Aufzeichnungen zu bergen, die der Professor als seine letzte Alterstat veröffentlichen will.
Neben dem zeitlosen Thema der Korrumpierbarkeit im Alltag wie in der Wissenschaft ist der Wunsch nach Freiheit das Leitmotiv dieses Romans. Der Professor erkennt sie in seinem Unwillen, wie bisher die an ihn gestellten Erwartungen zu erfüllen, sei es in der Familie oder in der Universität. Er will bei den Spielchen nicht mehr mit spielen, sondern nur noch seine Ruhe, am liebsten in seinem Zimmer mit Ausblick unterm Dach.
Eine Hütte mit grandiosem Ausblick bewohnte Tom auf der Mesa, umgeben von Natur und Kultur, aber weitgehend menschenfrei. Ein Idyll, welches auch heute noch dort zu erleben ist. Auch Willa Cather muss dies bei ihren Recherchen vor Ort so empfunden haben. Sie residierte 1915 im nahegelegenen Cortez und traf im Park mit Wissenschaftlern zusammen, die ihr die Cliffhäuser zeigten. Cather interviewte auch deren Entdecker, die Wetherill Brüder aus Cortez. Auf den Spuren entflohener Kühe entdeckten sie 1888 die Wohnungen der Anasazi. Seitdem führten sie Interessierte dort hin und initiierten so den ersten Tourismus. Staatliche Aufmerksamkeit erhielt die historische Stätte trotz der Bemühungen verschiedener Personen erst spät. Interessanterweise setzten sich zwei Frauen dafür ein. Lucy Peabody, die als Sekretärin bei der Amerikanischen Ethnologiebehörde in Washington arbeitete, und die Cather im Roman Tom Outland begegnen lässt, und die Journalistin Virginia McClurg. Im Jahr 1906 ernannte Theodor Roosevelt Mesa Verde zum ersten Nationalpark der USA, bis dato ist er der einzige, der auch archäologisch interessant ist. Die Cliffhäuser können heute mit Führung besichtigt werden, einige sind frei zugänglich.
Weitgehend alleine mit Natur und Kultur bleibt man auf den zahlreichen Trails, die an Felsritzzeichnungen und Mauerresten vorbei führen. Der moderne Reisenden muss nicht wie Willa Cather in Cortez, sondern er kann inmitten des Parks wohnen.
Wer an diesem Roman Willa Cathers interessiert ist findet ihn antiquarisch. Ich habe ihn in einer TB-Ausgabe von Goldmann, übersetzt von Elisabeth Schnack und mit einem Nachwort von Sabina Lietzmann, gelesen. Einige andere Romane der Autorin wurden bereits in neuer Übersetzung im Knaus Verlag aufgelegt.
Dieser kleine Roman von Willa Cather, die zum Zeitpunkt seines Erscheinens wie der Professor 52 Jahre alt war, wurde von ihren Freunden und Zeitgenossen als ihr persönlichster und bedeutendster bezeichnet. Für mich war er eine Entdeckung. Eine Neuausgabe mit einer neuen Übersetzung bleibt ein Desiderat.
„Das Herz eines anderen Menschen ist ein dunkler Wald, stets ist er das, einerlei, wie nahe man sich steht.“
Willa Cather, The Professor’s House, New York, 1925. Das Haus des Professors, übers. v. Elisabeth Schnack, Benziger Einsiedeln, Zürich, Köln 1961. Das Haus des Professors, mit einem Nachwort von Sabina Lietzmann, Knaus Verlag, München, 1992. Das Haus des Professors, Goldmann, 1995.
Was für eine schöne Besprechung, in der Du die Lektüre des Romans mit Deinen eigenen Eindrücken vor Ort verbinden konntest. Mir haben besonders deine Bilder gefallen und das, was Du über die Entstehung der Cliffhäuser geschrieben hast, fand ich total interessant. Es ist bestimmt ein ganz besonderes Erlebnis gewesen, dort herumzuspazieren und ganz viel zu beschauen und bestaunen.
Viele Grüße, Claudia
Schön, daß Dir fotografische, archäologische und literarische Eindrücke gefallen. Ich überlege dort als Rangerin anzuheuern, genug deutsche Touristen gab’s. 😉
Das kann ich gut verstehen, in der Umgebung macht es bestimmt Spaß zu arbeiten. Aber nur unter einer Bedingung: Der Blog muss weiter gehegt und gepflegt werden!
Kein Problem, es gibt ein schnelles Wifi und Amazon wird auch dorthin liefern. 😉
Ich schliesse mich Claudia an — eine sehr schöne Besprechung, liebe Atalante. Vielen Dank auch für die tollen Fotos. Das macht das Ganze noch einmal viel persönlicher. „Meine Antonia” habe ich vor einigen Jahren ebenfalls gelesen. Es liegen noch weitere Roman von Willa Cather bei mir bereit, gelesen zu werden. Und es scheint wirklich so, dass es sich lohnt, sich dieser Autorin weiterhin zu widmen.
LG buechermaniac
Danke für den netten Kommentar, buechermaniac. Ich bin ja eher zurückhaltend mit persönlichen Dingen in meinem Blog, es sei denn, es handelt sich um Lesevor- und ‑abneigungen, aber diesmal hat es sich so ergeben.
Hattest Du, da Du „Meine Antonia” bereits kennst, Gelegenheit die neue mit der älteren Übersetzung zu vergleichen?