In „Eine Sache wie die Liebe” erzählt Hans Bender von einer Jugend nach dem Krieg
Nach all” den modernen Coming-of-Age Geschichten lohnt sich ein Blick zurück. Wie fühlte es sich an in der nachkriegsdeutschen Provinz der Fünfzigerjahre erwachsen zu werden? Welche Formen der Abgrenzung nutzte ein Jugendlicher damals? Welche Erfahrungen macht er mit Liebe, Sexualität und vor allem mit sich selbst? Davon erzählt Hans Bender in seinem 1954 erschienenen Debüt „Eine Sache wie die Liebe“. Die damalige Kritik bezeichnete den Roman als den Liebesroman der Nachkriegsliteratur. Doch er ist viel mehr als nur das.
Liebe ist ein zeitloses Phänomen, unabhängig von Ort und Zeit bleiben die Aufwühlungen, die sie im Inneren der Beteiligten auslösen, immer nachvollziehbar, weil man sie selbst erlebt hat. Doch könnte man sie auch so intensiv zu Papier bringen wie dies Hans Bender gelang? In seinem schmalen, vor knapp 60 Jahren erschienen Roman schildert er die Geschichte einer ersten Liebe. Daran beteiligt sind Robert und Margret. Beide leben in einem kleinen Ort in der süddeutschen Provinz. Robert als Sohn des Besitzers der Dorfwirtschaft schon immer. Margret hingegen hat zusammen mit ihrer Mutter und ihren älteren Schwestern nach dem Krieg dort Zuflucht gefunden. Zusammen mit anderen Flüchtlingen wohnen sie im alten notdürftig hergerichteten Kelterhaus. Beiden ist gemeinsam, daß sie eigentlich nicht so recht dazu gehören. Margret erfährt wie die übrigen Bewohner der Kelter das Mißtrauen der Einheimischen. Robert entfernt seine Bildung von Familie und Gemeinschaft. Er erwartet den Beginn seines Studiums in der nicht weit entfernten Universitätsstadt. Da begegnet er Margret und es reicht ein einziger, kurzer Satz in dem schüchternen Wortwechsel, um gegenseitige Sympathie zu erwecken.
„Ins Kino gehe ich auch gerne“, sagte Robert. „Man hat hier sonst nicht viel, und ein Gasthaus haben wir selber.“
Es folgen Spaziergänge, in denen sie längst nicht mehr schüchtern ihre Meinungen und Erfahrungen austauschen. Sie führen durch die schöne Landschaft, die den Ort umgibt. Über den hinter der Kelter gelegenen Friedhof steigen sie den Hohlweg bis in die Felder und Weinberge hinauf. Margret erzählt von ihrem früheren Leben als Arzttochter in der Stadt und ihrem jetzigen, in dem sie mit Nähen ihren Unterhalt verdient. Während Robert, dem es doch anscheinend immer gut ergangen war, von seinem einzigen, aber traumatischen Kriegserlebnis berichtet. Die beiden werden ein Paar, was von Margrets Mutter akzeptiert, von der Dorfgemeinschaft und Roberts Vater jedoch abgelehnt wird.
„Diese Leute in der Kelter, hatte er gesagt, sollen unter sich bleiben, sich gegenseitig heiraten. Sie verstehen uns nicht und wir sie nicht. Sie hätten dort bleiben sollen, woher sie gekommen sind. Nicht, weil ein Mädchen von dort ohne Vermögen ist, nein, das soll der Ausschlag nicht sein, aber sie sind eben anders, unter anderen Bedingungen aufgewachsen.“
Um seinen Sohn von diesem Mädchen fern zu halten, besorgt der Vater für Robert ein Zimmer in der Universitätsstadt. Doch Robert zweifelt, ob er überhaupt sein Studium aufnehmen sollte. Medizin oder Jura sind die einzigen Fächer, die sein Vater finanzieren würde, beide interessieren ihn kaum. Wäre es nicht besser, so wie das junge Ehepaar, Marie und Franz, die Schwester Margrets und der Tankstellenbesitzer, anspruchslos aber glücklich im Dorf zu bleiben? Was soll die ganze Bildung.
„War Franz mit seinen acht Volksschuljahren, mit seiner Tankstelle und Marie nicht viel, viel glücklicher als er?“
Doch Margret macht es ihm schwer, dieses Glück zu testen. Sie wehrt seine intimen Annäherungen ab. Es kommt zum ersten Konflikt als er schließlich zum Studium in die Stadt fährt. Dort bewohnt er ein möbliertes Zimmer bei seiner Tante und besucht Vorlesungen und Seminare, in denen er gelangweilt Karikaturen seiner Professoren zeichnet. Ein Studentenleben unter familiärer Aufsicht. Auch die regelmäßigen Besuche Margrets trösten ihn nicht. Erst als er in einer studentischen Theatertruppe aufgenommen wird, fühlt er sich lebendiger und beginnt ein anderes Leben. Das freizügige Verhalten der Studenten entfremdet ihn noch stärker von Margret. Er zweifelt an seiner Situation.
„Ein halbes Jahr wohnte er in der Stadt. Er hatte neue Menschen kennengelernt, er hatte auf der Universität die Professoren gehört, er hatte Theater gespielt, Bücher gelesen und diskutiert, er hatte Slick zum Freund gewonnen…War er glücklicher geworden? Nein, er war komplizierter, unruhiger, freudloser; er war verändert, seit jenem Augenblick, als er zum erstenmal dieses Zimmer betrat. Aber warum war er nicht glücklich? Er hatte kein Ziel. Das war es wohl. Die anderen, die er kannte, die geschäftig an ihm vorrüberrannten, hatten alle ein Ziel, und wenn es nur das Ziel ihres Berufes war…Dafür besuchten sie regelmäßig die Vorlesungen, dafür füllten sie ihre Kolleghefte und schrieben lange Referate. Sie standen pünktlich auf und teilten ihren Tag in Stunden und Minuten.“
Bei einem der sonntäglichen Besuche bei Margret lernt er schließlich Anette, ihre älteste Schwester kennen. Von ihr, der Studentin, fühlte er sich verstanden und sie scheint viel freier zu leben als er. Schließlich gibt Robert sein ungeliebtes Studienfach auf und erzwingt von seinem Vater einem Umzug in die weit entfernte Stadt zu zustimmen. Durch Anette und deren Freunde lernt er einen Lebensstil frei von jeder restriktiven Moral kennen. Ein zunächst glückliches Wiedersehen mit Margret führt schließlich um Bruch und zu einer weiteren Flucht Roberts.
Hans Benders Roman ist weit mehr als eine Liebesgeschichte. Er erzählt die Entwicklungsgeschichte eines jungen Mannes, der sich von einer einengenden Gemeinschaft zu einem freien Leben emanzipiert. Befreit von väterlicher Kontrolle, von der Neugier des Dorfes, von den biederen Sexualvorstellungen erkundet er ein neues Terrain. Er erfährt die aufkommende sexuelle Freizügigkeit, die aber letztendlich negativ bewertet wird.
Wir befinden uns eben in einem Roman der Fünfziger. Die Moralvorstellungen dieser Zeit können noch nicht gänzlich abgeworfen werden. Aus heutiger Sicht erscheint das letzte Treffen der beiden Liebenden etwas süßlich, fast moralverpflichtend hineinmontiert. Um wie viel freier wirkt dagegen das offene Ende, an dem die Leserin Roberts Entscheidung begrüßt.
Hans Bender ist einer der bedeutendsten Schriftsteller der deutschen Nachkriegszeit. Als Mitherausgeber gründetet er 1954 die literarische Zeitschrift „Akzente“. Er veröffentlichte zahlreiche Romane, Kurzgeschichten und Lyrik. Bender wurde 1919 als Sohn eines Gastwirtes in Mühlhausen bei Heidelberg geboren. Landschaft und Details dieses kleinen Dorfes im Kraichgau sind im Roman unverkennbar. Seit 1959 lebt und schreibt Hans Bender in Köln. Die Gesamtausgabe seiner Werke erscheint sukzessive im Rimbaud-Verlag.