„Pornographie“ von Witold Gombrowicz, eine als Farce getarnte Ode
„Der unsichtbare Garten schwoll an und schwelgte in einem Zauber – obwohl feucht, obwohl düster, und mit diesem scheußlichen Verrückten – ich musste tief aufatmen in dieser Frische, badete plötzlich in einem wundervoll bitteren Element, einem zerreißend verführerischen. Wieder wurde alles, alles, alles jung und sinnlich, sogar wir!“
Ob Witold Gombrowicz beim Verfassen dieser Zeilen Szenen erträumte, wie sie auch Max Ernst in seinen Garten- und Dschungelbilder malte? Das kleine Gemälde „Natur im Morgenlicht“ aus dem Städel legt dies nah. Der 1904 geborene Witold Gombrowicz war wie der 13 Jahre ältere Max Ernst dem Dadaismus verbunden. Eine Spur, die sich nicht nur im angeführten Vergleich, sondern an vielen Stellen in Gombrowiczs Roman „Pornographie“ zeigt.
Der Roman entführt in die Natur eines polnischen Landguts, die wie bei Ernst als Dickicht wuchert, in dem Erotik spürbar ist und sich doch nie so recht fassen lässt. Ernst wie Gombrowicz erschaffen Phantasiewelten. Es geht es ihnen nicht alleine um die konkrete Darstellung, diese transportiert vielmehr ihre Auffassung von Kunst. So wie Max Ernst sich als Vogelgestalt in seiner Gartenszene imaginiert, wählt sich auch Witold Gombrowicz mindestens ein Alter Ego in „Pornographie“.
Witold und Fryderyk, zwei Männer um die Sechzig, erhalten 1943 in Warschau die Einladung eines Bekannten, sie auf seinem Landgut zu besuchen. Nichts Großartiges wird sich dort ereignen in der Provinz, die vom Krieg kaum tangiert scheint. Essen, Trinken, Reden, Spazierengehen, dies alles findet, dann doch wieder wegen des Kriegs, auf begrenztem Raum statt. Begrenzt sind auch die Interaktionen der wenigen an diesem kammerspielartigen Arrangement beteiligten Personen. Neben den beiden Gästen sind dies ihr Gastgeber Hipolit, dessen Frau Maria und die Tochter Henia, die ebenso jung ist wie Karol, der Sohn des Verwalters. Bald kommen Waclaw, Henias Verlobter, und dessen Mutter hinzu. Später der junge Jósek und ein gescheiterter Partisanenführer, doch da überschlagen sich schon die Ereignisse. Zunächst ist es langweilig. „Das Schlimmste ist, dass man nirgendwohin abhauen kann“, äußert Hipolit aus Angst vor Krieg und Gewalt, es mag aber auch im Frieden gelten. Vielleicht ist es dieser ereignislose Zustand den Fryderyk und Witol zu einem „Abenteuer“ verleiten. Die von ihnen „Spiel“ genannte Manipulation hat zum Ziel, aus Henia und Karol ein Paar zu machen. Diese beiden jungen Menschen seien alleine schon aus ästhetischen Gründen füreinander bestimmt. Entspräche es nicht viel mehr der Natur, wenn jung und jung sich miteinander vergnügten, als die schöne Frische der sechzehnjährigen Henia an den mehr als doppelt so alten Glatzkopf Waclaw zu vergeuden? Doch Fryderyks Bemühungen, eine Nähe zwischen den Jugendlichen herzustellen, scheitern. Henia und Karol, die sich von Kind an kennen, sind einfach nicht aneinander interessiert. Selbst der Plan, dem Verlobten einen Verdacht einzuimpfen, führt nicht weit. Fryderyk wird‘s fade und er wäre fast nach Warschau zurück, hätte nicht ein Zwischenfall ihm wieder Hoffnung geschenkt. In einer Bagatelle, einem von Henia und Karol zertretenen Regenwurm, einer „gemeinsam begangenen Grausamkeit“, erkennt er das unmoralische Potential, welches sich im Folgenden noch steigern wird.
Gombrowicz lässt die Ereignisse von einem Erzähler schildern, der zwar in Gesellschaft, aber in dennoch weitgehend isoliert ist. Auch mit dessen Begleiter Fryderyk, einer Zufallsbekanntschaft, besteht ein nur beiläufiger Austausch. Der Erzähler Witold schöpft aus Vermutungen, die er aus Beobachtungen ableitet. Er versucht sich über das Handeln Fryderycks klar zu werden. Auf dem Höhepunkt seiner Reflexionen, kommt er zur Erkenntnis: „Ich weiß, dass er weiß – er weiß, dass ich weiß, dass er weiß.“ Als Leser befinden wir uns in Witolds Kopf. Die literarische Kunst Gombrowiczs vermittelt uns dessen Empfinden in fließenden Übergängen, beispielsweise, wenn Siemian sich hilfesuchend an Witold wendet und wir dessen inneren Wandel von Schreck zu Mitleid, Abscheu und Abwehr erleben.
Es entsteht ein Netz aus Andeutungen, das die Spannung steigert und den Leser zu eigenen Interpretationen einlädt. Wer ist zum Beispiel dieser Fryderyk, dem Witold im Warschauer Künstlermilieu begegnete und der sein zufälliger Reisegefährte wurde? Hat der Autor Witold diese Figur, „schwarz und trocken“, als Atheist mit guten Deutsch- und Theaterkenntnissen, der oft in Venedig war, etwa Nietzsche nachgeformt? Oder ist Fryderyk doch das Alter Ego des Erzählers Witold, seine dunkle, unmoralische Seite?
Die Motive dieses Romans, durch Variationen und Wiederholungen gesteigert, sind deutlicher. Es sind die Jugend und der Körper, sich bedingend und definierend in gegenseitiger Abhängigkeit. Die Jugend, das „blühende Reich“, verkörpert durch Henia, Karol und Jósek, bildet den Gegenpart zu den alternden Protagonisten Witold und Fryderyk. Zum einen, ganz offensichtlich in ihrer Ästhetik, der junge Körper ist schöner als der alte. Die Grenze zieht Witold schon jenseits der Dreißiger und macht dies deutlich bei der Beschreibung einer Wäscherin, „eine untersetzte, alte Vettel mit großem Busen, recht ekelhaft, ranzig-fett und schmutzig-alt“, oder Waclaws Mutter Amelias, „vertrocknet“, „nach Kräutern und Medikamenten duftend“. Das mag misogyn sein, doch Waclaw, „ein Körper in Schuhen, der unbedingt diese Toiletten- und Konfektionsvervollständigungen benötigte“, und Hipolit mit seinem „schweren Körper, der wie ein fleischspeiender Vulkan war“ kommen kaum besser weg. Wie anders doch die attraktiven Nacken von Karol und Henia oder ein „wilder, raubtierhafter Blonder“ wie Jósek, „ein herrlicher, schmutziger Götze“.
Die sich in Schönheit manifestierende Jugend wird in vampirhafter Manier zum Jungbrunnen für Witold und Fryderyk. Doch zugleich ist sie ihnen ein Antidot gegen die Gewalt und Grausamkeit des Krieges. Damit eröffnet Gombrowicz eine höhere Ebene in diesem anscheinend so unmoralischen Roman. Er gesellt sich zu den „Künstlern, Schriftstellern und Denkern“, die er auf der ersten Seite „Gespräche und Debatten über die Kunst“ führen lässt. Sein Roman mag eine „Farce“ sein, „eine von Amateuren gespielte Vorstellung“, dessen „Pornographie“ stets von den Gewissensbissen seines Erzählers konterkariert wird, der schließlich doch den Inszenierungen des mysteriösen Fryderyk folgt.
Es gibt viel zu entdecken in diesem interessanten Roman, man beachte alleine die Parallelen zwischen den verführerischen und tödlichen Posen. Da hilft nur immer wieder lesen.
Witold Gombrowicz, Pornographie, übers. v. Renate Schmidgall, Kampa Verlag 2022
Das polnische Original des Romans, „Pornografia”, wurde 1960 in Paris veröffentlicht. Die erste deutsche Übersetzung von Walter Tiel erschien 1963 unter dem Titel „Verführung“ im Neske Verlag, eine zweite Übersetzung von Walter Tiel u. Renate Schmidgall 1984 unter dem Titel „Pornographie“ im Hanser Verlag. 2003 entstand der Film „Pornografia“ unter der Regie von Jan Jakub Kolski.