Wioletta Greg beschreibt in „Unreife Früchte“ eine Kindheit in Polen voll Licht und Schatten
„An jenem Abend saßen wir im Licht des Ofens wie vorsintflutliche, in Bernstein verschlossene Insekten (…) Aus dem Aschekasten sprühten Funken und verschwanden auf dem marmorierten Linoleum wie Meteoriten im dunklen, undurchdringlichen Ozean.“
Mit ihrer Art, das Licht zu malen, revolutionierten die Impressionisten die Malerei und offenbarten einen besonderen Blick auf anscheinend alltägliche Anblicke. In ähnlicher Weise nutzt Wioletta Greg das Licht in ihren Erinnerungen an eine Jugend in der polnischen Provinz. Es sind das Licht und seine Erzeuger, Sonne, Feuer und Elektrizität, mit denen sie dieser vermeintlichen Tristesse ungeahnten Glanz verleiht.
Wioletta Greg, 1974 in Kozieglowy geboren, trägt eigentlich den für Deutsche nahezu unaussprechlichen Namen Grzegorzewska. In ihrer Heimat ist sie durch ihre poetischen Werke bekannt. Neben diesen hat sie drei Romane veröffentlicht. Der vorliegende, autobiographisch geprägte Roman „Unreife Früchte“ wurde 2017 für den Man Booker International nominiert.
Allerdings stellt sich die Frage, ob es sich tatsächlich um einen Roman handelt. Lesenswert sind sie so oder so die 24 Kapitel, von denen die meisten um die zehn und nur wenige gut zwanzig Seiten zählen.
In diesen nur bedingt chronologisch geordneten Szenen, Geschichten und Träumen, die sich am ehesten als erinnerte Impressionen fassen lassen, erzählt Greg von ihrer Kindheit in einem polnischen Dorf. Atmosphärisch und sprachlich einnehmend sind dabei die sinnlichen Eindrücke der zunächst kleinen, dann grösser werdenden und schließlich fast erwachsenen Loletka. Sie schildern das Landleben, in „Gieneck, der Mähdrescherfahrer“ oder „Verspätete Fütterung der Bienen“, die Entwicklung der Protagonistin, in „Kirmesmädchen“ oder „Dolce Vita“, und in auffallend vielen Geschichten die frommen Riten der Dorfgemeinschaft, „Die Jesus-Tombola“ oder „Pfingsten“.
Zeitlich sind diese Kindheitserinnerungen allerdings nicht, wie ein deutscher Leser angesichts der Umstände vermuten mag, in der Fünfziger und Sechziger Jahren angesiedelt. Das katholisch karge Leben im Dorf Hektary spielt in der Kindheit der 1974 geborenen Greg.
Entsprechend kindlich sind ihre Schilderungen der Heimkehr des Vaters, den die Gefangenschaft wegen Fahnenflucht so lange von der Heimat fernhielt und der nun seiner Tochter erstmals begegnet, oder der pragmatischen Frömmigkeit der Dorfbewohner, des vielleicht besten Antidots gegen das sozialistische Regime der Zweiten Republik. Während der Vater ein „hartgesottener Atheist“ bleibt, trägt die Zehnjährige begeistert eine Heiligenfigur nach Hause. Wenige Jahre später wird auch sie den Spuk hinterfragen. Doch zuvor steht sie mit Hund und im strömenden Regen Spalier und wartet auf die Durchfahrt des „polnischen“ Papstes Johannes Paul II..
Die harte politische Realität bekommt jedoch auch sie eines Tages zu spüren. In einer Szene, die wenn sie nicht bittere Wirklichkeit, von herrlich Absurdität wäre, bekommt das Schulmädchen den langen Arm des sowjetischen Bruders zu spüren, und dies nur, weil wegen eines Missgeschick Loletkas Bild von Moskau „von einem klebrigen, indigofarbenen Ozean verschlungen“ wird.
„Unreife Früchte“ erinnert mich bisweilen wegen seines Humors und seines Fatalismus an den Jugendroman „Madita“ von Astrid Lindgren und an Siegfried Lenz‘ „So zärtlich war Suleyken“. Mit kurzen, parataktischen Sätzen lässt Greg ihre junge Loletka erzählen. Gebrochen wird die kindliche Sprache jedoch durch die poetischen Umschreibungen des Lichts. Jetzt ist es die Dichterin Wioletta Greg, die ihre Sinneseindrücke beim Leuchten der Farben in Worte fasst. Da leuchtet „goldenes Licht“, wenn der Vater, der in der Papierfabrik Arbeit gefunden hat, am Küchentisch seiner eigentlichen Profession nachgeht, dem Präparieren von Jagdtrophäen. Ebenso bietet das Licht eine schützende Aureole, in die sich das kindliche Bewusstsein in bedrohlichen Situationen flieht.
„Um meine Zöpfe herum begannen Wespen zu kreisen wie gestreifte Piranhas, sie tranken den Saft aus den Röschen des Musters auf meinem Kleid und wurden immer größer. (…) Die Sonne stach auf die Wespen ein, sie schrumpften auf ihre normale Größe und flogen durch die violetten und roten Kreise davon. Das Licht kitzelte mich wie das Wasser während des Bades im Zuber auf dem Hof.“
Kein Wunder, daß die Philluministin Loletka zu einer leidenschaftlichen Sammlerin von Streichhölzern wurde. Falls dieses Detail autobiographisch sein sollte, so hat Wioletta Grzegorzewska heute kein einziges Streichholz mehr nötig, ihre Sprache leuchtet von ganz allein.