Thomas Lang blickt in „Immer nach Hause“ aus Männersicht auf Hesses erste Ehe
„Noch eines: würden Sie mir raten zu heiraten? Sie kennen mich ein wenig, sind Diplomat und haben selbst eine Frau. Ist es wirklich so schlimm, wie man immer hört, oder nicht?“
(Basel, den 30.6.1903 an Dr. von Schaukal)
Dass große Schriftsteller familiär eher unbegabt sind, ist ein Klischee. Und doch erzeugt diese Behauptung sofort das Bild von Thomas Mann, der in seinem Schreibzimmer nie gestört werden durfte. Gut zu verstehen, Kinder und das häusliche Kleinerlei machen Krach und sind der Kreativität kaum förderlich.
Ähnlich mag es wohl Hermann Hesse empfunden haben, nachdem er mit 27 viel zu jung in die Ehe mit der um 8 Jahre älteren Maria Bernoulli einwilligte und ein kinderreiches Familienleben hinnahm. Ausgerechnet im kleinen Gaienhofen am Bodensee lassen sie sich nieder, vis-à-vis des Schweizer Ufers, aber fern von jenen Welt-Gestaden, die Hesse erkunden möchte. Dort erhofft er sich die Inspiration, nach der er nachts im Nachen bei Wein und Mondenschein vergebens sucht.
So setzt es jedenfalls Thomas Lang in seinem neuen Roman „Immer nach Hause“ in Szene und nähert sich mit großer Empathie seiner Hauptfigur. Gekonnt fängt er die trübe Stimmung in der Ehe zwischen Hermann und Mia ein. Sie gründet auf den unterschiedlichen Erwartungen dieser beiden verschiedenen Charaktere. Deren Befindlichkeiten entspringen nicht nur der Phantasie des Autors. Neben bekannten Fakten hat Lang bislang unbekannte Dokumente studiert, sprach mit Hesse-Nachfahren und Hesse-Forschern und brachte schließlich diesen intimen Hesse-Roman zu Papier.
Dabei nimmt er eine Zeitspanne von elf Jahren in den Blick. Die eigentliche Romanhandlung wird von vier Seiten Pro- und Epilog gerahmt. „Der Anfang“ versammelt kurz vor der Ehe datierte Brieffragmente, eine ähnliche Anzahl in „Das Ende“ dokumentiert Mias Zusammenbruch. Dazwischen liegen die beiden Hauptteile. In „Der ewige Friede“ erzählt Lang vom Jahr 1907 in Gaienhofen, wo Mia den Bau des Hauses beaufsichtigt, während Hesse reist und kurt. „Liebe im Krieg“ erzählt wie das Paar elf Jahre später in Bern weniger der Weltsituation als sich selbst ausgesetzt ist.
Von Anfang an integriert Lang die Psychologie ohne jedoch einen psychologischen Roman zu schreiben. Psychosomatisch deutet er, wenn Hesse der Magen schmerzt und Mia das Kreuz. Beides spiegelt die Unzufriedenheit der Eheleute, aus der Hesse sich jedoch heraus zu ziehen vermag. Er flieht, zunächst nach Locarno zur Elektrotherapie des Doktor Betz, dann weiter zu den Licht-Luft-Jüngern auf den Monte Verità. Seine Übersiedlung dorthin erfolgt in einem Ochsenkarren, ähnlich einem Fuhrwerk in den Mangowäldern des Subkontinents, wohin Lang seinen Protagonisten tagträumend versetzt. Auf dem Berg könnte er sich nackt oder halbbekleidet wie ein wahrer Inder fühlen, so hofft Hesse.
„Er taucht ein in das Indien, das er aus den Erzählungen seiner Eltern und seines Großvaters kennt. Soll sich das neue Haus mit festen Fundamenten im Boden der Höri-Halbinsel verankern! Er will trotzdem fahren. Er will den freien Himmel über sich haben und nackt in der Sonne gehend braun werden wie ein Malayali. Schweifen ist besser als Stehen, die frische Luft tut besser als der Dunst der Stuben, selbst wenn sie leicht nach Kuhdung riecht.”
Mia sind solche Eskapaden nicht vergönnt, sie duldet jedoch seine, auch wenn sie damit unglücklich wird. Welche Folgen dies für die Ehe, die Söhne und Mia selbst haben wird, hat bereits Bärbel Reetz in ihrer Beziehungsbiographie „Hesses Frauen“ eindrücklich dargestellt. Sie erklärt Hesses Bindungsunfähigkeit mit seiner Kindheit im strenggläubigen restriktiven Milieu, für das Lang so treffend den Begriff „pietistische Erbsündensuppe“ kreiert. Während Reetz ganz auf Seiten der von Hesse vernachlässigten Frauen bleibt, nähert sich Lang dem Dichter aus Männersicht. Es gelingt ihm Sympathie für seinen Kollegen zu erwecken. Dabei trifft er mitunter den Hesse-Ton und manche Episoden, wie die Verführung durch Fräulein Fuxius, meint man schon in einem Werk der Hauptfigur gelesen zu haben. Bei aller Dichternähe verliert Lang auch Mia nie aus dem Blick. Sie hat ihre Kunst, die Fotografie, fast aufgegeben zugunsten von Ehe und Familie. Sie steht meist alleine da, mit einem Künstler, der mehr Kind als Mann, mehr fern als nah ist. Überhaupt die Nähe, sie ist schwierig zwischen Hermann und Mia, wie die zahlreichen Traumsequenzen zeigen.
Während der größte Teil des Romans den Leser in eine emotionale Hesse-Welt versetzt, reißen ihn einige Szenen jedoch brutal heraus: Ausblicke auf künftige Begebenheiten, beispielsweise die Erwähnung von Hesses späterer Tätigkeit beim Münchner Simplicissimus Verlag, während der Dichter 1907 durch die Stadt schweift. Oder die Vorschau auf die Rolle, die der Psychoanalytiker Johannes Nohl Jahre später spielen wird. Gestört hat mich auch die seltsame Metapher, der „an raubehaarten Affentitten erinnernde Berg“, die ich mir nur mit einer gewissen Affen-Affinität des Autors erklären kann. Bizarr auch die Goethevision oder die Assoziation, welche von einem Apfel der Sorte McIntosh zu iPhones und Steve Jobs führt. Trotz der durch Ehret geschaffenen Verbindungslinie – Hesse begegnet dem Fastenprediger auf dem Monte Verità, Jobs ernährt sich nach Ehrets Lehre – wirkt dieses Fußnotenwissen fehl am Platz. Manchmal fügt Lang Zeitsprünge innerhalb eines Kapitels ein, wogegen nichts einzuwenden ist. Nichts spricht dagegen, daß sich die historische Chronologie in einem Roman der Fiktion beugt, doch warum noch extra darauf hinweisen?
Abgesehen von diesen Punkten hat mir der Roman gut gefallen. Hesses Abneigung immer (wieder) nach Hause zurück zu müssen, spiegelt Lang in eindrücklichen Impressionen, oft über die Wahrnehmung des Schriftstellers Hesse, der „dem eigenen Leben (zuschaut) wie einem Trauerspiel“.