„Sex ist verboten“ und nicht nur das — der neue Meditationsroman von Tim Parks
Stundenlang Sitzen, bei Räucherwerk und Sphärenklängen auf den nackten Bauch eines übergewichtigen Glatzkopfes starren um in Trance zu fallen? Meditation liegt aus meiner Sicht östlich und sehr fern. Trotzdem wählte ich diesen Titel bei einer Vorstellung neuer Bücher. Er sollte den ernsten Hikikomori-Roman Flasars begleiten, als leichtfüßige Lektüre in ironischem Ton. Während des Lesens wandelten sich gleichsam im Fluss der Meditation diese Erwartungen in überraschender Weise.
Wir befinden uns im Dasgupta-Institut, einem buddhistischen Meditationszentrum in England. Dort leistet Elisabeth Marriot, die junge, weiblich wohl gerundete Hauptfigur bereits seit neun Monaten ihren Dhamma-Service. Sie arbeitet als Helferin in der Küche, wäscht Salat und Teller. So meditiert sie nur nachmittags, während die anderen Teilnehmer des Retreats den ganzen Tag damit verbringen sich im Stillsitzen, Atmen und Nichtdenken zu üben. Ein Retreat dauert zehn Tage, danach kehren alle wieder in ihr stressiges westliches Leben zurück. Beth jedoch bleibt, freiwillig und unschlüssig, die Unordnung in ihrem Leben, in der Liebe und mit den Männern hat sich noch nicht in Erkenntnis gelöst.
Meditationspraxis und Tagesablauf im Dasgupta-Institut schildert Tim Parks detailreich nach eigenen Erfahrungen. Der Autor litt lange unter chronischen Schmerzen. Meditation war sein letzter und erfolgreicher Versuch sich von ihnen zu befreien. In dem Buch „Die Kunst stillzusitzen“ beschreibt er diesen Prozess.
„Sex ist keine Lösung“ ist die fiktionale Frucht dieser Heilung. Im englischen Original trägt der Roman den Titel „The Server“. Der deutsche Titel ist ebenso passend, denn die dem Sex genußvoll zugeneigten Beth denkt gerne an das Verbotene. Zugleich führt er in die Regeln des Instituts ein, die jede Ablenkung verhindern sollen. Nach außen herrscht Kontaktsperre. Im Zentrum wird diese durch Schweigegebot, Geschlechtertrennung und Berührungsverbot geregelt. Als einzige davon ausgenommen sind die Helfer in der Küche. Dort hält allerdings die Zubereitung vegetarischen Essens andere Kompensationen bereit. Das Waschen von Reis und gelben Bohnen entwickelt sich zur erotischen Berührung, während Aggressionen beim Hacken und Schnetzeln schwinden. Außerdem erfordert die Arbeit Worte. Um diese ist Beth trotz aller Vorschriften nie verlegen, sie kommentiert ironisch die kleinen Regelverstöße ihrer Kollegen und das egoistische Streben der Selbstloslerner im Kampf um die Bananen. Beth bezeichnet sich als böses Mädchen, warum erfahren wir während der Meditation.
Diese findet mehrmals täglich unter Anleitung Dasguptas statt, der via CD seinen Adepten den Atemfluss leitet. Wie schwierig und lächerlich dies sein kann teilt uns ein Tagebuchschreiber mit.
„Er predigt gegen den Egoismus, er errichtet ein religiöses System gegen den Egoismus, und befriedigt dabei sein eigenes Ego, indem er Schüler um sich schart und ihnen völlige Hingabe abverlangt. Die beringten Finger, die weißen Kissen, der dicke Bauch unter der sauberen Baumwollkleidung. Meine Freunde hier, meine Freunde da. KAUM ZU GLAUBEN, DASS WIR ALLE ABEND FÜR ABEND DA SITZEN UND DIESEM WICHSER ZUHÖREN.“
Die Aufzeichnungen dieses Meditationsanfängers entdeckt Beth als sie verbotenerweise den Männertrakt betritt und in sein Zimmer blickt. Aus dem Koffer leuchten rote Schulhefte und Beth kann der Versuchung nicht verstehen. Sie liest sich fest und entwendet seitdem regelmäßig ein Heft zur geheimen Klolektüre. Selbstironisch variiert ihr Verfasser in Klappentexten die Gründe für sein Meditationsbedürfnis. Seine Einträge bieten zudem eine sarkastische Sicht auf die Heilsversprechungen nicht nur buddhistischer Erlöser.
Beth ist begeistert, die Leserin stimmt zu. Während sie mit dem Tagebuchschreiber zweifelt, ob Stillsitzen und Atmen der richtige Weg zur eigenen Klarheit sei, erlebt sie Beth, die impulsiv und direkt ist, aber gleichzeitig voller Selbstzweifel.
Überraschend wirkt, daß Parks eine weibliche Ich-Erzählerin wählt. Ein älterer Mann, der sich in die Gefühle und Gedanken und in den Körper einer jungen Frau hineinlebt? Es funktioniert meist ganz gut. Die starke Fixierung auf ihre beiden roten Ferraris nehme ich allerdings eher dem älteren Schriftsteller als seiner Protagonistin ab. Sein Roman spiele, so Tim Parks, „das Verlangen nach Stille und Befreiung von sich selbst gegen die älteste und nächstliegende aller Geschichten (aus), Mann trifft Frau.“
Beth erzählt von ihren Männern und dem Sex, von ihrer Band und der Trauer, vom Reiswaschen und der Lektüre roter Tagebuchhefte. Von den darin zu findenden ironischen Selbst- und Fremdanalysen hätte ich gerne mehr gelesen, vielleicht folgt ja noch ein Buch von Mr. Tagebuchschreiber.?
Tim Parks, Sex ist verboten, Kunstmann Verlag, 1. Aufl. 2012