Von „A.“ bis „Zylinder“ — Rainer Schmitz über Wissenswertes und Skurriles der literarischen Welt
So kann es gehen, man hört von einer Neuerscheinung und wird dadurch auf ein längst erschienenes Werk desselben Autors aufmerksam. Man hofft, dieses sei geeignet einige der unzähligen Wissenslücken zu stopfen, besorgt es sich umgehend und kommt dann nicht mehr los davon.
So ein Buch ist das Literaturkompendium von Rainer Schmitz „Was geschah mit Schillers Schädel?“. Ein solcher Titel prophezeit, daß man nach dem Lesen nicht nur gut unterhalten sondern auch schlauer sein wird. Der Untertitel „Alles, was Sie über Literatur nicht wissen“ erzwingt die sofortige Probe.
Und tatsächlich, dachte die verblüffte Leserin doch bisher, daß der Sandkuchen wegen seiner unausweichlich staubigen Konsistenz diesen Namen zu Recht trage, so weiß sie nun, welche Schriftstellerin dem Teegebäck ihren Namen lieh. Dass es sich bei diesem eigentlich um ein Pseudonym handelt, war auch der literarisch hinlänglich Gebildeten bekannt. Wie diese Georg eigentlich hieß, erfährt sie unter dem gleichlautenden Eintrag.
Über 1200 Stichwörter hat der Journalist und Autor Rainer Schmitz unter Mitwirkung von Niclas Dewitz und Wolfgang Hoerner gesammelt. Sie füllen 1828 Kolumnen, gut hundert davon umfasst alleine das umfangreiche Register aller erwähnten Autoren.
Unweigerlich habe ich mich festgelesen. Meine Neugierde schwang sich von Stichwort zu Verweis und blieb beim Blättern unweigerlich an Kuriosem hängen. So könnte ich nun einiges erzählen, über die erdichtete Bilitis, über abgelehnte Bestseller und solche, die niemand mehr kennt. Es findet sich Merkwürdiges wie „Hundefutter“ und Nachdenkliches wie „Grabinschriften“.
Am besten macht man sich aber mit dem Buch bekannt, indem man einen Schriftsteller herauspickt und dessen Einträge verfolgt. Meine Wahl fiel auf Marcel Proust, für ihn weist das Register 33 Fundstellen aus. Sie reichen von „Abgelehnt“ bis „längster Zeitraum“. Unter „Abgelehnt“ erfahren wir, daß nicht nur die „Recherche“ von Verlagen eine Abfuhr bekam, sondern auch Kerouacs „On the Road“, Süskinds „Das Parfum“ und Rowlings „Harry Potter“.
Nicht nur Proust diente das „Bett“ als literarische Wirkstätte, auch Mark Twain zog sich gerne an diesen Ort der Inspiration zurück, meist mit einer Zigarre. Wir lesen von gelebtem und literarischem „Dandyismus“ und wundern uns nur wenig, daß dieser in Deutschland selten anzutreffen war. Interessiert verfolgt man den poetischen Einfluss des „Darms“ bei Proust, Mann und Schiller, während Hemingway auch dies seinem Ruf gemäß löste. Unter „Duellverweigerung“ lesen wir von Prousts Ärger mit einem Papparazzo, dessen Verdächtigung unter „Schwul“ in 14 Kolumnen erläutert wird.
Natürlich findet Marcel Proust mit seinem Werk Eingang in den „Kanon“, beispielsweise in den der Pariser Akademie Goncourt und in die ZEIT-Bibliothek der 100 Bücher. Wie seine Kanonkollegen Kafka, Joyce und Kerouac, findet sich auch eines seiner Manuskripte, genauer die Korrekturfahnen des ersten Teils der Recherche, unter den „teuersten Manuskripten“ der Welt. Mit Kafka teilt er außerdem noch den Eintrag „Lunge“, weitere berühmte Leidensgenossen sind Fjodor Dostojewski und Thomas Bernhard.
Das Stichwort „Lindenblütentee“ belegt er ganz alleine, aber die eigentlich unbedingt zugehörige Madeleine fehlt unverständlicherweise. Darüber mag die Bekanntschaft mit dem Verb „proustifier“ hinweg trösten, unter „Proustata“ erfahren wir vom chirurgischen Geschick seines Bruders.
Zweimal macht der verehrte Dichter den zweiten Platz, beim „längsten Roman“ und beim „längstens Satz“, dieser ist jedoch in Gegensatz zum Sieger vollständig abgedruckt, natürlich über zwei Kolumnen. Müßig zu sagen, daß Marcel Proust in einer Leserbefragung von fünf großen europäischen Zeitschriften an siebter Stelle stand. Wer sich für die übrigen Genannten interessiert, der schlage selbst nach.
Dieses literarische Kuriositätenkabinett sei jedem Literaturliebhaber empfohlen, es ist lehrreich, amüsant, spannend und skurril.
Rainer Schmitz, Was geschah mit Schillers Schädel?, Heyne Verlag, 12/2008