Die Schatzinsel des Vegetariers

Christian Kracht erzählt vom Imperium der Kokosnuss


„Und hat­te er schon vor lan­gem ent­schie­den sich nicht mehr durch Al­ko­hol be­see­len zu las­sen, so war doch der Er­re­gungs­zu­stand, in den er durch die Ko­kos­milch ver­setzt wur­de, der­ar­tig, daß er selbst im Schlaf wahr­zu­neh­men schien, sein Blut wer­de sukzze­siv durch Ko­kos­milch er­setzt, ja es war ihm, als strö­me durch sei­ne Adern kein ro­ter, tie­ri­scher Le­bens­saft mehr, son­dern der we­sent­lich hoch­ent­wi­ckel­te­re pflanz­li­che Most sei­ner Ide­al­frucht, der ihn der­einst be­fä­hi­gen wer­de, sei­ne Evo­lu­ti­ons­stu­fe zu transzendieren.”

Ist dies nun ein His­to­ri­scher Ro­man, ei­ne Aben­teu­er­ge­schich­te, ei­ne Re­fe­renz an die gro­ßen Li­te­ra­ten des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts oder ei­ne Per­si­fla­ge auf die ak­tu­el­le li­te­ra­ri­sche Ver­wurs­tung des Ve­ge­ta­ris­mus? Es ist von al­lem et­was, aber in de­li­ka­tes­ter Aus­füh­rung. So un­ter­halt­sam zu le­sen, daß man die­ses Buch nicht mehr aus der Hand le­gen möch­te. Mir er­ging es auf je­den Fall so.

Die Ge­schich­te des Au­gust En­gel­hardt, der im frü­hen 20. Jahr­hun­dert nach Aus­stei­ger­er­fah­run­gen auf dem Fest­land, nun in den neu er­wor­be­nen Über­see­ge­bie­ten des Deut­schen Rei­ches sei­ne ei­ge­ne Ko­kos­ko­lo­nie grün­den woll­te, ist his­to­risch be­kannt. Die Fak­ten um die­sen ve­ge­ta­ri­schen Son­nen­or­den sind der­art skur­ril, daß sie sich als Ro­man­vor­la­ge ge­ra­de­zu an­bie­ten. Als im letz­ten Jahr „Das Pa­ra­dies des Au­gust En­gel­hardtvon Marc Buhl er­schien, ha­be ich mich mit gro­ßer Vor­freu­de auf die­ses Buch ge­stürzt und  hat­te ei­ne sehr ver­gnüg­li­che Lek­tü­re. Um­so be­geis­ter­ter war ich in der Früh­jahrs­vor­schau von Kie­pen­heu­er &Witsch den neu­en Ro­man Chris­ti­an Krachts zu entdecken.

Dass Kracht den glei­chen his­to­ri­schen Stoff mit al­ler dich­te­ri­schen Frei­heit fik­tio­na­li­siert, und dies we­sent­lich stär­ker als Buhl, steht ihm zu. Er weist den Le­ser, da­mit ihm die­ses auch voll­ends be­wusst wer­de, gleich zu Be­ginn dar­auf hin. Durch die Stim­me sei­nes all­wis­sen­den und äu­ßerst kom­men­tar­freu­di­gen Er­zäh­lers er­fah­ren wir, daß der Prot­ago­nist nicht ge­nau so denkt wie der Au­tor oder der Er­zäh­ler, son­dern „so oder so ähn­lich“. Wir sind eben in ei­nem Ro­man und nicht in ei­ner his­to­ri­schen Ab­hand­lun­gen und das ist ein gro­ßes Glück. Er­in­nert schon die Um­schlag­ge­stal­tung an ei­nen Aben­teu­er­ro­man ver­gan­ge­ner Jahr­zehn­te, so fällt der Er­zähl­ton noch um wei­te­re De­ka­den zu­rück. Dies je­doch in sehr an­ge­neh­mer Wei­se, wis­send und da­mit zwangs­läu­fig äu­ßerst iro­nisch, denn der Er­zäh­ler hat ja be­reits aus der Ge­schich­te ge­lernt, was die Ge­stal­ten des Ro­man erst noch mü­he­voll selbst er­le­ben müssen.

Kracht führt uns durch die Grals­su­che die­ses ver­schro­be­nen Ve­ge­ta­ri­ers, den er als Ex­em­pel für die sich an­bah­nen­de deut­sche Ka­ta­stro­phe vor­stellt. Dies al­ler­dings mit mehr als ei­nem Au­gen­zwin­kern. Die Ko­kos­nuss als theo­so­phi­scher Gral, dar­auf hät­te schon längst ei­ner kom­men kön­nen. War der Se­gen des Ve­ge­ta­ris­mus nicht schon von ganz an­de­ren Geis­tes­män­nern er­kannt wor­den? Von Plut­arch, Rous­se­au, Bur­nett, Scho­pen­hau­er, Emer­son und Ein­stein. Dumm nur, daß auch der Gröfaz fleisch­los ter­ro­ri­sier­te. Dies er­scheint als größ­tes, aber nicht als ein­zi­ges Me­ne­te­kel. Die deut­schen Pflan­zer in den Schutz­ge­bie­ten, vul­gär, fett und be­schmiert wie die Erd­fer­kel, ver­kör­pern im bes­ten Kli­schee das Bild des häss­li­chen Deutschen.

Wie hei­lig hebt sich da doch der un­schul­di­ge Au­gust En­gel­hardt ab, den der An­blick to­ten Flei­sches er­schau­ern lässt, der sich vom Ve­ge­ta­ri­er zum Fruk­tiv­o­ren ge­wan­delt, nun die höchs­te Stu­fe des Heils den Ko­ko­vo­ris­mus er­langt. Kein Wun­der, daß so­gar die ein­fluss­reichs­te Frau des da­ma­li­gen Süd­see­ar­chi­pels, Queen Em­ma, von die­sem „zar­ten Je­su­lein“ be­ein­druckt ist. Er­scheint er ihr doch als fleisch­ge­wor­de­ne Kunst des Fra An­ge­li­co. Die­se be­wun­der­te sie einst in Flo­renz, wo sie fast En­gel­hardt be­geg­net wä­re, der dort in den Bo­bo­li-Gär­ten fast mit Her­mann Hes­se ge­spro­chen hät­te. Dies al­les ist na­tür­lich dich­te­ri­sche Frei­heit, aber ei­ne sehr amü­san­te. Wei­te­re fik­ti­ve Be­geg­nun­gen schlie­ßen sich an, wor­un­ter die mit Tho­mas Mann in den Dü­nen der Ku­ri­schen Neh­rung nicht die Un­in­ter­es­san­tes­te ist. Doch nicht nur Hes­se, Mann, Kaf­ka, Ein­stein, Freud und vie­len an­de­ren Grö­ßen des 20. Jahr­hun­derts wird Re­fe­renz er­wie­sen. Die größ­te Ver­beu­gung er­bie­tet der Au­tor Charles Di­ckens. Die Wer­ke die­ses gro­ßen Er­zäh­lers die­nen En­gel­hardt als Rei­se­lek­tü­re und sie hel­fen bei der Bil­dung sei­nes Frei­tags. Auch der Er­zähl­stil Chris­ti­an Krachts ist als Hom­mage an den Dich­ter-Ju­bi­lar zu wer­ten. Leicht an­ti­quiert im Ton er­gänzt er das Ge­sche­hen durch Er­läu­te­run­gen der Zeit- und Orts­um­stän­de, er­klärt Ne­ben­schick­sa­le und Sze­nen, er­gänzt durch Rück-und Aus­bli­cke. Manch­mal fällt auch ei­ne Ne­ben­säch­lich­keit, die sich trans­po­niert als ak­tu­el­le Zeit­geist­kri­tik ent­puppt. Sei­en es nun die si­bi­ri­schen Händ­ler auf dem Ber­li­ner Alex­an­der­platz oder die Brat­wurst aus Abfällen.

Chris­ti­an Kracht schil­dert in „Im­pe­ri­um“ den Ver­such ei­nes Ein­zel­nen sich ein Ide­al­reich zu er­rich­ten und stellt ei­nen Zu­sam­men­hang mit ei­ner ähn­lich halt­lo­sen, aber un­gleich er­folg­rei­che­ren Phan­tas­ma­go­rie her. Dies ge­lingt ihm auf der­art in­tel­li­gen­te und gleich­zei­tig un­ter­halt­sa­me Wei­se, daß ich das Buch un­ein­ge­schränkt als Lek­tü­re emp­feh­len möchte.

Der Ko­ko­vore En­gel­hardt war viel­fach Ge­gen­stand his­to­ri­scher For­schung und jour­na­lis­ti­scher Be­richt­erstat­tung. Ent­spre­chen­de Hin­wei­se und Links fin­den sich im An­hang mei­ner Re­zen­si­on zu Marc Buhls Roman.

Und zum Schluß fragt man sich nicht, ob ein Spie­gel­re­zen­sent zu vie­le Ko­kos­nüs­se ge­ges­sen hat, man fragt sich nur, wann mit ei­ner Ver­fil­mung zu rech­nen sein wird? Und wen wir in den Haupt­rol­len se­hen wer­den? Für Queen Em­ma stän­de viel­leicht Frau Neu­bau­er zur Ver­fü­gung, wenn der Ver­trag mit Weight Wat­chers ab­ge­gol­ten ist. Aber wer ver­kör­pert Au­gust En­gel­hardt, Mat­thieu Car­ri­e­re oder Rai­ner Langhans?

Zur De­bat­te, die die­se Re­zen­si­on aus­ge­löst hat, sei auf den kri­tisch ab­wä­gen­den Bei­trag von Jan Sü­sel­beck auf Li­te­ra­tur­kri­tik verwiesen.

 

LOHAS in der Südsee

In „Das Paradies des August Engelhardt“ erzählt Marc Buhl von Lichtluftmenschen und Sonnenkindern

Die aus­schliess­li­che Ko­kos­nuss-Di­ät macht un­sterb­lich und ver­ei­nigt mit Gott, denn nack­ter Ko­ko­vo­ris­mus ist Got­tes Wille …”

Als ei­nen Vor­läu­fer des LOHAS könnt man Au­gust En­gel­hardt be­zeich­nen, denn er prak­ti­zier­te vor gut hun­dert Jah­ren ei­nen sehr sub­stan­ti­el­len „Life­style of He­alth and Sus­taina­bi­li­ty“. Wie En­gel­hardt die­sen mit Ko­kos­nuss und Son­nen­kult aus­füll­te und wel­che Fol­gen die­se höchst ein­sei­ti­ge Di­ät und das nack­te Le­ben un­ter bren­nen­der Süd­see­son­ne für ihn und an­de­re hat­te, be­schreibt Marc Buhl in sei­nem neu­en Ro­man auf höchst un­ter­halt­sa­me Weise.

Es han­delt sich um ei­nen his­to­ri­schen Stoff, den Buhl in sei­nem Ro­man fik­tio­na­li­siert, denn es gab sie wirk­lich die Ko­ko­vo­ren auf Ka­ba­kon, ei­nem klei­nen In­sel­chen der Neu-Lau­en­burg-Grup­pe im da­ma­li­gen Bismarck-Archipel.

Als En­gel­hardt mit 27 Jah­ren zum Süd­see­insu­la­ner wird, hat er schon ei­ni­ges hin­ter sich. Er er­in­nert sich an sei­ne Er­leb­nis­se beim Mi­li­tär, wo er we­gen so­zia­lis­ti­scher Um­trie­be zum LOHAS in der Süd­see“ weiterlesen