Irene Dische erzählt in „Die militante Madonna“ von einem Ritter von variabler Gestalt
„In meiner Zeit kann man die Menschen schon allein an ihren Zähnen auseinanderhalten. In ihrer Zeit sind alle Zähne gleich, und die Schminke wird mit einem Chirurgenmesser aufgetragen. Wenn Sie Ihr Los als Mann oder Frau nicht hinnehmen, schneiden Sie eben etwas ab oder nähen etwas dran. Alle Subtilität wird verbannt. Alle zarten oder strudelnden Unterströmungen werden ignoriert. Und das nennen Sie „Fortschritt“!“
Irene Disches neuem Roman liegt die Vita einer historischen Person zu Grunde, die anders als es der Titel „Die militante Madonna“ vermuten lässt, keine Tugendgestalt à la Jean D’Arc war. Nein, eine Madonna war der Chevalier d’Èon (1728–1810) nicht, eher eine wehrfähige Minerva, als die er sich einst hat malen lassen. Oder sollte man besser sagen, sie, denn Charles-Geneviève-Louis-Auguste-André-Timothée d’Éon de Beaumont wechselte die Identitäten von Chevalier und Chevalière. Beide Rollen führten ein bewegtes Leben, an dem ihr Inhaber uns Leser dank seinen Erinnerungen teilnehmen lässt. Dische bedient sich einer Quelle, der posthum erschienen Autobiographie, und formt daraus einen Enthüllungsroman, der sehr vergnüglich zu lesen ist.
Als „erster Transvestit der Weltgeschichte“ rühmt der Klappentext den Ich-Erzähler, der seinen, ganz im Stil seiner Zeit gehaltenen Lebensbericht, wie es sich ziemt, mit einen „Vorspruch“ beginnt. Dieser wendet sich an Leser, die in der zukünftigen Moderne glauben, die Genderdebatte „Ohne Skrupel und Skalpell“ weiterlesen