Der neuaufgelegte Roman „Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf” von Andrea Paluch und Robert Habeck erweist sich im Rückblick als geradezu hellsichtig
„Eines Abends fragte Robert mich, welche drei Wünsche ich ausschlagen würde, wenn ich welche frei hätte. Aus der Dunkelheit prasselte der Regen auf die Dachfenster. Meine Augen tränten, so müde war ich. Ich antwortete, dass der Tag zwei Stunden länger dauert, dass du mir solche Fragen stellst und dass alles anders wird.“
Ein guter Anfang verführt zum Weiterlesen. Das gilt auch für diese ersten Sätze, die das Bild einer glücklichen Beziehung leicht verklausuliert und mit Humor formulieren. Sie steigern die Erwartungshaltung, doch wird sie auch erfüllt?
Die Neugierde, welche Art von fiktionaler Literatur der amtierende Wirtschafts-Minister verfasste, ließ mich zu diesem Buch greifen. Robert Habeck hat bereits einige Romane geschrieben, die meisten gemeinsam mit Andrea Paluch, seiner Frau. Der vorliegende mit dem verheißungsvollen Titel „Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf“ erschien erstmals im Jahr 2005 und wurde drei Jahre später verfilmt. Kaum geschmälert wurde mein Interesse durch die Tatsache, daß der „tote Mann“, der im Roman auf unterschiedliche Weisen äußerst vital wirkt, ausgerechnet den Namen „Robert“ trägt. Humor haben sie, die Autoren Habeck und Paluch!
Und während ich in die Geschichte um den auferstandenen Gatten eintauche, frage ich mich, ob ich schon einmal wissentlich den Roman eines Schriftsteller-Duos gelesen habe? Es fallen mir nur ein Krimi von Fruttero&Lucentini und einer von Schlink&Popp ein. Doch das ist lange her. Ich erinnere mich nicht mehr, wie sich die doppelte Autorschaft auswirkte. Deshalb sei bei diesem Gemeinschaftswerk erneut gefragt: Gibt es disparate Teile? Sind die unterschiedlichen Erfahrungen der Schriftstellerpersönlichkeiten erkennbar? Gibt es gar autofiktionale Anteile? Lassen wir uns überraschen!
Robert ist auf See geblieben. Ein Sturm hat ihn von Bord gefegt mitsamt einem Teil der Ladung, Rotorblätter und Türme von Windrädern. Helene lebt seitdem allein mit drei kleinen Kindern an der Nordseeküste. Eines Tages folgt sie der Einladung eines früheren Verehrers zu einem Opernabend in Hamburg. Dort entdeckt sie einen Mann, der sie in allem an Robert erinnert. Sie spricht ihn an und merkt bald, daß es mehr als das Aussehen ist, was dieser Torben mit Robert gemein hat. Ein starkes Gefühl der Verbundenheit zieht sie zu ihm hin. Mehr sei nicht verraten, schließlich hängt der Roman an der Frage: Ist er’s oder ist er’s nicht?
Die große Nähe zwischen Robert und Torben verwundert kaum, denn die Differenz zwischen den beiden Namen beträgt nur zwei Buchstaben. Doch wie sieht es aus mit den zu Beginn gestellten Fragen? Unterschiede im Stil und auch bei den Themen des Erzählten sind durchaus auszumachen und wer eine Analyse anstrebt, dem kann es sogar gelingen, mehr als zwei Autorenstimmen auszumachen.
So könnte die Sehnsucht der Frau nach ihrem abwesenden Mann und die Inbesitznahme des freigewordenen Schreibtisches aus der Feder Paluchs stammen. Wer könnte sich empathischer in diese Situation hineinversetzten, den Blick gerichtet auf die Lehrstelle im gemeinsamen Arbeitszimmer, wo ein Mann und eine Frau sich gegenübersaßen, die Schreibtische Längskante an Längskante aneinandergerückt? Mit prägnantem Einfühlungsvermögen stellt dieser Teil des Duos auch den getakteten und mit wenig individuellem Freiraum versehenen Alltag einer Alleinerziehenden dar. „Der Tag ist viergeteilt und die geraden Abschnitte gehören mir.“ Diese Zuschreibung ist selbstverständlich reine Spekulation, denn auch Robert Habeck kann sich in fremde Lebenslagen hineinversetzten. Und doch hört man seine Stimme eher in anderen Teilen des Romans. Wenn von Häusern gesprochen wird, die „dreifach verglast, hoch isoliert und die Dächer und Balkonüberstände aus Solarpaneelen“ besitzen, oder von einer Anlage, die „aus der Gezeitenbewegung des Meeres Strom erzeugt“, geht das auf das Konto eines grünen Politikers. Auch die folgende Aussage besitzt eine eindeutig ökonomische, wenn auch resignative Erkenntnis: „Fast alle Firmen aus den Branchen der regenerativen Energien befanden sich im Besitz großer Ölfirmen oder Energieunternehmen, die Atomkraftwerke besaßen oder bauten. Was gemeinhin als Öffnung der Stromproduzenten für neue Verfahren interpretiert wurde, deutete er als Versuch der Multis, das Geschäft der erneuerbaren Energien zu untergraben.“ Den Philosophen Habeck hingegen vernimmt man, wenn man seine Figur bei einer Autobahn-Fahrt begleitet, während diese über die Menschen und die Möglichkeiten sinniert, die sie flüchtig passiert. An anderer Stelle glaubt die Leserin beinahe in Helenes Erkenntnis, es sei „Robert nicht ähnlich, einen getanen Schritt wieder rückgängig zu machen. Er hat immer versucht, Fehler zu korrigieren, indem er sie ausgebaut hat.“, ein selbstironisches Orakeln zum zukünftigen Tun zu vernehmen.
Ich merke, dieser Roman macht mir Spaß, wenn vielleicht auch aus anderen Gründen als den vom Verlag vorgesehenen, der übrigens in seinem Begleitschreiben verlautbart, dies sei ein „Roman über Bilder, die wir voneinander haben“. Dem werde ich nicht widersprechen. Selbst wenn es darin merkwürdige, unfreiwillig komische Bilder gibt, wie: „Einen Spargeltarzan stelle ich mir bleich und schlabbrig wie gekochte Finger vor.“ Was ist mit den Knochen? Oder: „Eine Tür geht auf, und viele von Pferdehaaren gestrichene Saiten überdecken seine letzten Worte.“ Wenn Haare, warum keine Därme? Bei „Die Männer tragen lange Koteletten und Schuhe, die mit Bedacht abgeschabt sind“, gibt mir die Schuhpflege Rätsel auf, wohingegen „Die Frau legt einen Arm auf sein Schlüssselbein“ in meiner Vorstellung ein Skelett evoziert.
Trotzdem oder gerade deswegen bietet der Roman gute Unterhaltung, nicht zuletzt, weil er nicht alles erklärt und den Schluss schön offen lässt.