Baumwollbeutel-Boheme gegen Saatkartoffel-Solitüde

Juli Zeh erzählt in „Über Menschen“ von der Widersprüchlichkeit

Do­ra mag kei­ne ab­so­lu­ten Wahr­hei­ten und kei­ne Au­to­ri­tä­ten, die sich dar­auf stüt­zen. In ihr wohnt et­was, das sich sträubt. Sie hat kei­ne Lust auf den Kampf ums Recht­ha­ben und will nicht Teil ei­ner Mei­nungs­mann­schaft sein.“

Ei­ne Seu­che schleu­dert ei­ne Frau in die Ein­sam­keit, wo sie als Selbst­ver­sor­ge­rin zu­nächst ge­gen die Na­tur kämp­fen muss und spä­ter ge­gen ei­nen gro­ßen, ag­gres­si­ven Mann. Ach ja, ein Hund ist auch mit von der Par­tie. Die Par­al­le­len zu Die Wand schei­nen of­fen­sicht­lich, doch Ju­li Zeh setzt in ih­rem neu­en Ro­man „Über Men­schen“ an­de­re Ma­xi­me als Mar­len Haus­ho­fer in ih­rer be­rühm­ten Dystopie.

Die Wer­be-Tex­te­rin Do­ra tauscht die Kreuz­ber­ger Baum­woll­beu­tel-Bo­he­me ge­gen ei­ne Saat­kar­tof­fel-So­li­tü­de im Bran­den­bur­gi­schen. Dort hat­te sie vor Aus­bruch der Pan­de­mie preis­wert ein al­tes Guts­ver­wal­ter­haus er­stan­den. Es wird zum neu­en Zu­hau­se als Do­ra aus der ge­mein­sa­men Woh­nung flieht. Ro­bert, der doch für al­le nur das Bes­te will, hat Do­ra das Le­ben schwer ge­macht. Der nach­hal­ti­ge Ve­ga­ner ach­tet auf ei­ne kor­rek­te Le­bens­füh­rung und seit dem Auf­tau­chen des Vi­rus auch auf die Ein­hal­tung al­ler Hy­gie­ne­re­geln. Schließ­lich ret­tet sich Do­ra, die sich nur noch als „CO2-Pro­blem und Co­ro­na-Keim­schleu­der“ wahr­ge­nom­men fühlt, aufs Land. Dort hat sie Ru­he, denn dort ist nichts los. Ihr Haus, so er­fährt sie, war einst der Kin­der­gar­ten von Bra­cken. Heu­te gibt es im Ort kei­nen mehr, ge­nau­so we­nig wie ei­ne Schu­le oder ei­nen Le­bens­mit­tel­la­den. Ber­lin ist nah, doch der Bus fährt sel­ten. Ein Au­to hat Do­ra nicht, da­für ei­nen Hund, ein Rad und schnel­les In­ter­net. Bald be­fällt sie das Ge­fühl „exis­ten­ti­el­ler Chan­cen­lo­sig­keit“.

Das Stich­wort steht auf der ers­ten Sei­te des Ro­mans und er­in­nert mich an den be­kann­tes­ten Ro­man der gro­ßen Mar­len Haus­ho­fer. Wie die Hel­din die­ser Ge­schich­te greift auch Do­ra zum Spa­ten und legt ei­nen Acker an. Ih­re ein­zi­ge Be­glei­tung ist ein treu­er Vier­bei­ner. Und wie in Haus­ho­fers Ro­man tritt auch in dem von Zeh ein Mann auf, der den Hund be­droht. Do­ra be­geg­net ihm schon nach we­ni­gen Sei­ten und nicht erst am En­de. Dort fin­det sich al­ler­dings ein Satz, der als wei­te­re Haus­ho­fer-Re­fe­renz gel­ten könn­te. „Seit Do­ras Um­zug hat in Bra­cken Tag für Tag die Son­ne ge­schie­nen (…) als wä­re das Dorf von ei­ner gro­ßen, im­mer blau ge­stri­che­nen Glo­cke abgedeckt.“

Do­ra er­hält, an­ders als die Ein­sa­me un­ter der Glas­glo­cke, bald Ge­sell­schaft. Go­te, der be­droh­li­che Nach­bar, stellt sich zwar als „Dorf-Na­zi“ vor, dann aber doch ma­nier­lich an. So wie auch die üb­ri­gen Dorf­be­woh­ner mit ih­rer Hilfs­be­reit­schaft nicht zö­gern. Der von ge­gen­über ro­det mit schwe­rem Ge­rät das Ge­strüpp, ein an­de­rer sam­melt Do­ra am Ein­kauf­zen­trum ein, wo sie ver­geb­lich auf den Bus war­tet. Schließ­lich bringt je­mand Saat­kar­tof­feln. Und das al­les un­ge­fragt. Die kul­tu­rel­le Kluft zur nur räum­lich na­hen Haupt­stadt ver­stärkt Zeh durch Sze­nen aus eben­die­ser. Spä­tes­tens wenn sie für die Fahrt dort­hin ih­ren klei­nen Hund ver­staut, er­kennt man, wie weit die Sphä­ren aus­ein­an­der­lie­gen. Wer wür­de in Bra­cken schon sei­ne Töle in ei­nem Ruck­sack transportieren?

Do­ra fährt wie­der zu­rück. Ihr Aben­teu­er ist we­ni­ger ge­fähr­lich als das des von ihr ver­ehr­ten Alex­an­der Gerst, doch Mut braucht man nicht nur im All. Ju­li Zeh er­zählt von zwei frem­den Wel­ten, in­dem sie ih­re Prot­ago­nis­tin auf we­ni­ge, da­für dis­pa­ra­te Fi­gu­ren tref­fen lässt. Zur Wich­tigs­ten, dem Ant­ago­nis­ten Go­te, baut die Au­torin ei­ne Brü­cke mit ei­nem Hund und ei­nem klei­nen Mäd­chen. Das ist glaub­wür­dig, auch wenn es kli­schee­haft klingt. Ge­gen En­de hin droht die Ge­schich­te sen­ti­men­tal zu wer­den und drückt dann, so wie Do­ra es Go­te vor­wirft, ein biss­chen auf die Trä­nen­drü­se. Doch das ist zum ei­nen in­halt­lich be­dingt, zum an­de­ren ge­lingt es Zeh viel­leicht ge­ra­de da­durch, ih­re Mo­ti­ve in gu­te Un­ter­hal­tung zu verpacken.

Die­se zeigt sich im Er­zähl­fluss, der ei­nen nach ful­mi­nan­tem Start so­fort mit­reißt. Do­ras Re­flek­tio­nen bet­tet Zeh zwi­schen über­ra­schen­de Re­ak­tio­nen und schlag­fer­ti­ge Dia­lo­ge. Zwar fällt“ zu Be­ginn et­was oft „der Gro­schen“, da­für ent­schä­di­gen je­doch zahl­rei­che iro­ni­sche Be­mer­kun­gen. Ih­ren Wort­witz of­fen­bart Zeh nicht nur in den Ideen der Wer­be­tex­te­rin für die Öko­jeans „Gut­mensch“ des La­bels „FAIRklei­dung“. Er zeigt sich auch im Ti­tel des Ro­mans. Der er­in­nert an Zehs an­de­res Bran­den­burg-Buch, auf das sie ver­weist, „In Bra­cken ist man un­ter Leu­ten. Da kann man sich nicht mehr so leicht über die Men­schen er­he­ben.“ Der Be­griff „Über Men­schen“ cha­rak­te­ri­siert fast je­de Fi­gur des Ro­mans, sei es Ro­bert, der sein Ver­hal­ten über das der an­de­ren stellt, oder Stef­fen, der als Ka­ba­ret­tist Go­te ab­ur­teilt. Das Schwarz-Weiß-Den­ken, was bei Go­te er­wart­bar wä­re, er­kennt Do­ra im Lau­fe der Ge­schich­te auch bei sich selbst. „Es geht nicht dar­um, Wi­der­sprü­che aus­zu­lö­sen, son­dern sie aus­zu­hal­ten“, so der Rat.

Juli Zeh, Über Menschen, Luchterhand Verlag 2021

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