John Grishams solider Unterhaltungsroman „Das Original“ ist frei von Überraschungen
„Schriftsteller lassen sich in der Regel in zwei Gruppen einteilen: Jene, die ihre Geschichten von Anfang an komplett ausarbeiten und wissen, wie sie ausgehen, noch bevor sie überhaupt angefangen haben. Und jene, die das nicht tun, weil sie davon überzeugt sind, dass Figuren ein Eigenleben entwickeln und etwas Interessantes tun, nachdem man sie angelegt hat.“
Zu welcher Gruppe John Grisham zählt, steht außer Frage. Der Anwalt und Autor ist für seine spannenden Stories aus dem Rechtsmilieu bekannt. Viele wurden zu Bestsellern, mehrere erfolgreich verfilmt. Ich habe bisher keines dieser Bücher gelesen, noch als Film gesehen und hätte wohl auch Das Original liegen lassen, wenn mich nicht das Thema neugierig gemacht hätte.
Im Mittelpunkt des Romans steht das Verschwinden von fünf Fitzgerald-Manuskripten, Diesseits vom Paradies, Die Schönen und die Verdammten, Zärtlich ist die Nacht, Der letzte Taikun und natürlich Der große Gatsby. Sicher verwahrt liegen sie in einem Tresorraum der Princeton University und sind nur ausgewählten Antragstellern, vorwiegend Wissenschaftlern, zugänglich.
Hier setzt Handlung ein. Mit einem Plan, der für das ausführende Quintett fast schon zu raffiniert ist, gelingt der Raub. Die Gangster erweisen sich jedoch als unvorsichtig, gierig und dumm. Ein Teil der Bande wird kurz nach der Tat von FBI festgenommen, aber die Manuskripte bleiben verschollen. Während die Behörde nach der Beute sucht, führt Grisham sein Personal ein. Mercer, eine frustrierte, attraktive Jungautorin, erfolglos und in Geldnöten, und Bruce, ein egomaner Buchhändler mit einer Schwäche für alte Schinken und frische Schriftstellerinnen, sind seine Hauptfiguren. Bruce französischstämmige Frau Noelle, mit der er eine offene Ehe führt, ein paar Kriminelle, eine Clique mehr oder weniger erfolgreicher Literaten sowie eine Handvoll Ermittler ergänzen das Ensemble. Wie alle Versicherungsgesellschaften sträubt sich auch die hier erfundene zu zahlen, was im Grunde unbezahlbar ist. Sie setzt ihre Ermittler auf den Fall an, die wiederum Mercer als Gehilfin akquirieren, weil sie ihre Kindheit dort verbracht hat, wo der Verdächtige lebt. Trotz Skrupel nimmt sie das Angebot an und zieht in die Nähe des Mannes, der im Verdacht steht, in den Verkauf der gestohlenen Manuskripte verwickelt zu sein. Bruce Cable führt auf Camino Island erfolgreich eine Buchhandlung mit Antiquariat. Seine Schwäche für attraktive Autorinnen wollen sich die Ermittler zu Nutze machen. Sie rechnen fest damit, daß er auf Mercer aufmerksam wird und ihr Details über die Fitzgerald-Originale verrät.
Ich hingegen will nichts verraten, nur so viel, es kommt fast alles, wie es kommen muss. Aus Sicht der Versicherung ist dies wünschenswert, aus Sicht des Lesers eher weniger. Dass die an sich selbst und ihrer Schreibkraft zweifelnde Schöne dem unwiderstehlichen Bruce in die Falle geht, bzw. er ihr, bzw. beide in eine solche, mag man bei dieser Art Unterhaltungsroman hinnehmen. Immerhin fügt Grisham den in diesem Genre unverzichtbaren Ingredienzien Sex and Crime noch ein schlagfertiges Schriftstellergrüppchen hinzu, dessen Geplänkel zwischen Solidarität und Konkurrenz amüsiert. Ebenso lockern die zahlreichen Seitenhiebe auf die kulturellen Verblendungen der besseren Gesellschaft die Lektüre auf.
Enttäuschend ist allerdings das Ende. Da fehlt jede Überraschung. Nachdem der Verlauf absehbar war, hatte ich fest mit Unvorhersehbarem gerechnet. Doch es kam keine Brise auf, die dem Ganzen eine Wendung hätte geben können. Flaute in Florida. Da hatte ich wohl zu viel erwartet von meinem ersten Grisham. Nichts desto trotz hat er mich, zum Teil auch in der Hörbuchversion, gelesen von Charles Brauer, über etliche Autobahnkilometer gut unterhalten.
Wer anstatt Das Original lieber die Originale lesen möchte, findet die digitalisierten Manuskripte Fitzgeralds auf der Seite der Princeton University.