Nein, es handelt sich nicht um den Titel des neuen Romans, sondern um die Rede Genazinos anlässlich der Verleihung des Rinke-Preises 2010. Ihre leicht gekürzte Fassung wurde in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht.
Verliehen wird der Preis durch die Stiftung von Guntram und Irene Rinke für „Das Lebensgefühl des Jahres in sprachlich überzeugenden Texten“. Genazino erhielt den Preis am 28. April für seinen im letzen Jahr erschienen Roman Das Glück in glücksfernen Zeiten.
Der mit 10000 Euro dotierte Rinke-Preis wird seit 2007 vergeben. Bisherige Preisträger waren Raoul Schrott mit Dichter am Ball(2007), der anonyme Verfasser von Wohin mit Vater?
(2008) und Roger Willemsen für Der Knacks
(2009).
Der folgende Text versucht eine Auseinandersetzung mit dieser Rede. Zitate aus dieser oder aus anderen Werken Genazinos sind gekennzeichnet.
Was bedeutet ein Preis für einen Schriftsteller, der in seinen Werken dem Beifall des Publikums eher kritisch gegenüber steht? Er stellt eine Besänftigung des steten Selbstskeptizismus dar, unter dem jeder richtige Schriftsteller leidet. Der Preis wirkt als Signal der Außenwelt, am Schreiben dran zu bleiben, denn „ein richtiger Schriftsteller fängt immer wieder von vorne an“. Auch wenn unsere heutige Zeit mit ihrer Fülle von Ereignissen, die ein konkretes Handeln erfordern, die Produktion von Literatur und die Auseinandersetzung mit Literatur entbehrlich und so ihre Daseinsberechtigung in Frage stellen könnte.
Genazino sieht sich wie jeder Künstler als ein „an den Rand gedrängtes Subjekt“ in einer „selbstverhängten Verbannung“. Seine Romane bezeichnet er als „nicht kompensatorisch“ und so wie Autoren oft nach den Motiven ihres Schreibens befragt werden, stellt er den Lesern die Frage „Warum lesen Sie?“. Eine Vielfalt von Antworten wäre möglich. Genazino ist allerdings überzeugt, daß seine Bücher den Lesern wie ihm selbst einen Schutzraum bieten, denn die Leser bemerken „dass es in der modernen Welt schwieriger wird, eine halbe Stunde lang unbeobachtet und also unzensiert leben zu dürfen.“ Die Helden seiner Bücher, seien es nun der Flaneur im feinen Schuhwerk oder der studierte Wäschereimitarbeiter, versuchen alle ihr „Zwangsabonnement der Wirklichkeit“ zu kündigen oder sich wenigstens mit ihm zu arrangieren, wobei vor allem „das Sich-tot-Stellen“ zu einer Überlebenstechnik werden kann. Das Individuum, die Daseinsberechtigung des Ichs, stellt Genazino als eines seiner Hauptanliegen dar, seine Bücher bieten seinen Lesern „eine Übungsstätte für ihre Individuierung.“
Die Unsicherheit, die sich beim Verfassen eines neuen Textes einstellt, vergleicht Genazino mit der Ängstlichkeit beim Betreten eines Flugzeuges. Bei beiden Unternehmungen ist das gute Ende kein sicheres, es drohen Absturz oder Scheitern, das im Fall des Schreibens unweigerlich mit Scham verbunden ist. „Jeder Autor ist für sie prädestiniert, weil er die besonderen Fähigkeiten, die andere ihm unentwegt zusprechen nicht hat. Er muss so tun als ob: und ist deswegen für die Scham ein besonders leichter Fall.“ Dieses Gefühl gehört zum Dasein eines Schriftstellers, da dieser niemals ausschließlich erstklassige Literatur erschafft. Genazino ist überzeugt, dass zwischen den guten Romanen immer zwei bis drei mittelmäßige die nötige Distanz halten. Das habe ich als Leserin seiner Werke bisher noch nicht feststellen können. Ich danke ihm für seinen bisher erschienen Werke, die mir stets „Beistand“ mit meinen „inneren Auseinandersetzungen“ bieten.