Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg — Eine Frau des Widerstands?

Konstanze von Schulthess” persönliches Porträt ihrer Mutter Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg

Es gibt vie­le Ar­ten ein Buch zu le­sen. Ei­ne da­von ist un­vor­ein­ge­nom­men den Text auf sich wir­ken zu las­sen un­ge­ach­tet des Ver­fas­sers und des­sen In­ten­ti­on. Die­se an­schei­nend ob­jek­ti­ve, ei­gent­lich aber nai­ve Vor­ge­hens­wei­se ist bei fik­tio­na­ler Li­te­ra­tur hin­nehm­bar, sie ver­bie­tet sich je­doch bei Wer­ken mit his­to­ri­schem Be­zug. Ein sol­ches ist die vor­lie­gen­de Bio­gra­phie über Ni­na Schenk Grä­fin von Stauf­fen­berg. Sie muss sich folg­lich den Fra­gen der his­to­ri­schen Text­kri­tik stel­len. Wer hat den Text ver­fasst, was sagt er aus, auf wel­che Quel­len be­ruft er sich, was möch­te er bewirken.

Kon­stan­ze von Schul­t­hess ist die jüngs­te Toch­ter Ni­na von Stauf­fen­bergs. Sie wur­de am 27. Ja­nu­ar 1945 ge­bo­ren. Ihr Va­ter Claus von Stauf­fen­berg war zu die­sem Zeit­punkt be­reits tot, hin­ge­rich­tet we­gen des At­ten­tats auf Hit­ler am 20. Ju­li 1944. Schul­t­hess kennt ih­ren Va­ter und die Ge­scheh­nis­se, die zu sei­nem Tod führ­ten, aus Er­zäh­lun­gen und Be­rich­ten an­de­rer. Ih­re wich­tigs­ten Quel­len wa­ren ne­ben den Er­zäh­lun­gen der Mut­ter de­ren schrift­li­che Erinnerungen.

Es ist schwie­rig die­ses Buch ei­ner Toch­ter über ih­re Mut­ter zu be­wer­ten. Um so mehr, als je­ne Ni­na von Stauf­fen­berg die Ehe­frau Claus von Stauf­fen­bergs war und die Au­torin des­sen jüngs­te Toch­ter. Die­se Kon­stel­la­ti­on er­for­dert Re­spekt vor den Ge­füh­len und Re­spekt vor dem his­to­ri­schen wie mu­ti­gen Akt des Widerstandes.

Al­ler­dings stellt Kon­stan­ze von Schul­t­hess in die­sem Por­trät ih­rer Mut­ter er­neut die Fra­ge zur Dis­kus­si­on, die sie ei­gent­lich aus der Welt schaf­fen möch­te. In wie weit war Ni­na von Stauf­fen­berg in die Wi­der­stands­plä­ne ein­ge­weiht und an den Vor­be­rei­tun­gen beteiligt?

Das Buch setzt mit ih­rer Re­ak­ti­on auf die Hin­rich­tung Stauf­fen­bergs ein. Als ihr die Nach­richt am Vor­mit­tag des 25. Ju­lis über­bracht wur­de brach sie we­der zu­sam­men noch dach­te sie an Flucht. Sie ent­schied sich für die Rol­le der Ah­nungs­lo­sen und prä­pa­rier­te die Kin­der auf even­tu­el­le Ver­hö­re, in­dem sie ih­nen Sät­ze der Ah­nungs­lo­sig­keit eingab.

Die Au­torin skiz­ziert Stauf­fen­bergs Weg zum Wi­der­stand be­vor sie die Aus­wir­kun­gen des At­ten­tats auf das Le­ben ih­rer Mut­ter schil­dert. Über die Fa­mi­li­en al­ler an der Tat be­tei­lig­ten Män­ner ver­häng­te das Na­zi­re­gime Sip­pen­haft. Für Ni­na von Stauf­fen­berg und ih­re Kin­der be­deu­te­te dies die Tren­nung. Die Kin­der ka­men in ein Heim im thü­rin­gi­schen Bad Sach­sa. Ni­na von Stauf­fen­berg wur­de zu­nächst in das Ge­fäng­nis von Rott­weil ge­bracht, dann drei Wo­chen im Un­ter­su­chungs­ge­fäng­nis des Ber­li­ner Po­li­zei­prä­si­di­ums von der Ge­sta­po ver­hört. An­schlie­ßend folg­te ei­ne fünf­mo­na­ti­ge Ein­zel­haft im Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Ravensbrück.

Schul­t­hess er­zählt ver­ständ­li­cher­wei­se mit größ­ter Em­pa­thie, aber auch an­schau­lich und span­nend. His­to­ri­sche Er­eig­nis­se ver­knüpft sie mit per­sön­li­chen Emp­fin­dun­gen und Sze­nen, wel­che die star­ke Per­sön­lich­keit Ni­na von Stauf­fen­bergs be­to­nen. So hat die­se sich von den be­drü­cken­den Ge­füh­len wäh­rend der Haft mit dem Me­mo­rie­ren von Mu­sik und Li­te­ra­tur oder selbst­ge­fer­tig­ten Pa­ti­ence­kar­ten ab­ge­lenkt. Sol­che Schil­de­run­gen sol­len of­fen­sicht­lich ei­ne Hel­din zei­gen, die mit Cha­rak­ter­stär­ke und Bil­dung die Um­stän­de be­siegt. Dass sie den­noch wäh­rend der Haft ein Tes­ta­ment ver­fass­te, spricht für ih­re Klar­sicht, als Frau ei­nes Ver­schwö­rers muss­te sie mit dem Tod rech­nen. Es lässt aber auch Ver­zweif­lung ahnen.

Im Fol­gen­den schil­dert Schul­t­hess die Ju­gend ih­rer Mut­ter und das Ken­nen­ler­nen der El­tern. Be­reits als jun­ges Mäd­chen ha­be Ni­na von Stauf­fen­berg „Die drei Mus­ke­tie­re“ al­len Mäd­chen­bü­chern vor­ge­zo­gen. Die Toch­ter schließt dar­aus auf ei­ne frü­hes Fai­ble für Hel­den. Nach der 1933 er­folg­ten Hei­rat, wur­de die jun­ge Ehe­frau in­ner­halb we­ni­ger Jah­re zur mehr­fa­chen Mut­ter, 1934 wur­de Bert­hold ge­bo­ren, Hei­me­ran 1936, Franz Lud­wig 1938 und Va­le­rie im Jahr 1940. Da ihr Mann sei­ne mi­li­tä­ri­sche Kar­rie­re ver­folg­te, or­ga­ni­sier­te sie das Le­ben der Fa­mi­lie in ei­ge­ner Ver­ant­wor­tung. Kin­der­mäd­chen und Haus­an­ge­stell­te stan­den ihr als Hil­fen zur Ver­fü­gung. Wenn Claus von Stauf­fen­berg zu Be­such kam, war er „ein  hin­rei­ßen­der Va­ter“, „lag … mit sei­nen Kin­dern auf dem Fuß­bo­den und spiel­te stun­den­lang“. Ih­re Mut­ter hin­ge­gen, so be­tont Schul­t­hess, sei kei­ne die­ser „Glu­cken­müt­ter“ ge­we­sen. Sie ha­be sich un­kon­ven­tio­nell ver­hal­ten, in­dem sie viel rauch­te, Lip­pen­stift auf­trug und sich ge­gen al­les Klein­bür­ger­li­che wehr­te. Ih­re Ehe führ­ten die Stauf­fen­bergs als Fern­be­zie­hung, den­noch dis­ku­tier­ten die Part­ner über Po­li­tik. Dies wird je­doch nicht oft er­folgt sein, als Brief­in­halt ver­bot sich je­de Aus­ein­an­der­set­zung über Un­zu­frie­den­heit mit dem Regime.

Nach die­sen Pri­va­tis­si­ma ge­langt die Au­torin zur Aus­gangs­fra­ge. Sie legt dar, daß Ni­na von Stauf­fen­berg be­reits 1939 die Wi­der­stands­ge­dan­ken ih­res Man­nes er­kannt ha­be. Zu­dem sei sie bei­spiel­wei­se durch Ver­nich­tung kon­spi­ra­ti­ver Un­ter­la­gen ak­tiv an den Vor­be­rei­tun­gen be­tei­ligt ge­we­sen. Den­noch er­klärt Ni­na von Stauf­fen­berg in ih­rer Fa­mi­li­en­chro­nik, daß sie we­der den Zeit­punkt des At­ten­tats kann­te noch wuss­te, wer die­ses aus­füh­ren sollte.

Es fol­gen Ka­pi­tel zu den Um­stän­den von Kon­stan­zes Ge­burt, zur Rol­le Me­lit­ta von Stauf­fen­bergs, zum Tod der Groß­mutter im Straf­la­ger Matz­kau. An­ge­rei­chert mit Fa­mi­li­en­an­ek­do­ten er­zählt Schul­t­hess von der Her­kunft des müt­ter­li­chen Fa­mi­li­en­zweigs. Auch in die­sen Ab­schnit­ten be­to­nen vie­le Sze­nen Ni­na von Stauf­fen­bergs Cha­rak­ter mit Wor­ten wie „ih­re Un­er­schüt­ter­lich­keit, auch ihr Wa­ge­mut hat­ten tie­fe Wur­zeln“.

Man­che Schil­de­run­gen wir­ken wi­der­sprüch­lich, man­che selt­sam na­iv. So schien das Ein­tref­fen der SS zwei Ta­ge nach dem At­ten­tats­ver­such der­art un­er­war­tet, daß Ni­na von Stauf­fen­berg nicht ein­mal ei­ne Ta­sche ge­packt hat­te. Auch die tes­ta­men­ta­ri­sche Sor­ge um die Ver­ga­be des Fa­mi­li­en­schmucks über­rascht. Skur­ril und we­nig sym­pa­thisch er­schei­nen die Be­mü­hun­gen um die Re­qui­si­ti­on von Leuch­tern, Ge­schirr und Familiensilber.

Die schrift­li­chen Quel­len der Au­torin be­stehen aus drei Schrift­stü­cken aus der Hand Ni­na von Stauf­fen­bergs: aus ih­rem in der Haft ver­fass­ten Tes­ta­ment, dem Ge­dicht „Un­ser Pa­pi“ und der un­ver­öf­fent­lich­ten Fa­mi­li­en­chro­nik „Das Hals­band der An­na Iwa­now­na“ aus dem Jahr 1966. Er­gänzt wer­den die­se von dem Be­richt Ka­ro­li­ne von Stauf­fen­bergs, der Mut­ter von Claus von Stauf­fen­berg, „Über die Zeit zwi­schen Ju­li 1944 bis Kriegs­en­de“, der im Buch kom­plett wie­der­ge­ge­ben wird. Die Fa­mi­li­en­chro­nik ist je­doch nur in Zi­ta­ten fassbar.

Als Ni­na von Stauf­fen­berg die­se in den sech­zi­ger Jah­ren ver­fass­te war sie 53 Jah­re alt, die Er­eig­nis­se des 20. Ju­li 1944 la­gen 22 Jah­re zu­rück. Da das au­to­bio­gra­phi­sche Ge­dächt­nis sich im Lau­fe der Jah­re im­mer wie­der neu de­fi­niert, kön­nen die­se Auf­zeich­nun­gen das Er­leb­te kaum au­then­tisch ab­bil­den. Es han­delt sich um ge­form­te Er­in­ne­run­gen. Was Ni­na von Stau­fen­berg wirk­lich er­lebt hat und was durch spä­te­re Ge­sprä­che und Lek­tü­ren un­be­wusst er­gänzt wur­de, lässt sich nicht ein­deu­tig klä­ren. Die­se Schwie­rig­kei­ten spricht Schul­t­hess selbst ge­gen En­de des Buchs an, „Doch es kam der Mo­ment, als sie (Ni­na v. St., kp) sich nicht mehr wirk­lich si­cher war, was sie selbst er­lebt und was sie ge­le­sen oder ge­hört hat­te. Er­in­ne­run­gen und Dar­stel­lun­gen ver­wisch­ten und über­la­ger­ten sich zu­neh­mend.

Hin­zu kommt, daß die­se Text­quel­le, durch die Zi­tat­aus­wahl und ‑set­zung der Toch­ter, ei­ne wei­te­re In­ter­pre­ta­ti­ons­ebe­ne durch­läuft. Die­se un­ter­liegt ganz klar der In­ten­ti­on, Ni­na von Stauf­fen­berg als ei­ne Hel­din des Wi­der­stands darzustellen.

Kon­stan­ze von Stauf­fen­berg hät­te nicht nur der his­to­ri­schen For­schung, son­dern vor al­lem dem An­denken ih­rer Mut­ter ei­nen grö­ße­ren Dienst er­wie­sen, wenn sie die­ses Do­ku­ment mit ei­nem Nach­wort ver­se­hen, aber an­sons­ten un­be­ar­bei­tet ver­öf­fent­licht hätte.

Zu Stauf­fen­berg und der Be­we­gung des 20. Ju­li sind zahl­rei­che his­to­ri­sche Ab­hand­lun­gen und po­pu­lär­wis­sen­schaft­li­che Do­ku­men­ta­tio­nen er­schie­nen, dar­un­ter die bei­den fol­gen­den Bio­gra­phien der His­to­ri­ker Ueber­schär und Hoffmann.

Gerd R. Ueber­schär, Stauf­fen­berg und das At­ten­tat vom 20. Ju­li 1944: Dar­stel­lung, Bio­gra­phien, Dokumente

Pe­ter Hoff­mann, Claus Schenk Graf von Stauf­fen­berg: Die Biographie


So­wie ein wei­te­res per­sön­li­ches Buch aus der Fa­mi­lie Stauffenberg.

Bert­hold von Stauf­fen­berg, Auf ein­mal ein Verräterkind

Kon­stan­ze von Schul­t­hess, Ni­na Schenk Grä­fin von Stauf­fen­berg, Pi­per, 3. Aufl. 2009