In „Der letzte Geschlechtsverkehr” beklagt Helke Sander die ungerechte Rollenverteilung
„Für Leute in ihrem Alter gab es den Ausdruck „Jenseits von Gut und Böse“. Früher, vor noch nicht allzu langer Zeit, sagte man das schon von Vierzigjährigen.“
Die Filmemacherin und Autorin Helke Sander,„gebildete Mitteleuropäerin der Mittelklasse“ und „Teilnehmerin am sexuellen Aufbruch“, hat ein Buch über den letzten Geschlechtsverkehr und andere Aussichten aufs Altern verfasst. Ihre jeweiligen Geschichten sind ebenso abwechslungsreich wie ihre Protagonistinnen. Diese sind auf der Suche nach Sex, lauschen Tantratönen, sinnieren über existentielle Einsamkeit und allmähliche Triebverflüchtigungen.
Die Heldin der ersten Geschichte arbeitet als Bibliothekarin. Sie möchte gerne einen Mann kennenlernen, was ihr im behauptet männerfernen Buchmilieu kaum gelingen will. Da nützen auch keine Lesungen über Schwarzwaldsurvival oder ähnliche vermeintlich männeraffine Themen. Sie greift in ihrer Not schließlich zum allerletzten Mittel und antwortet gänzlich unromantisch auf eine Annonce. Was dann geschieht, erzählt Sander kurzweilig und nicht ohne Selbstironie und zum Glück nicht ganz aus. Aber?
Wie es der Leseteufel will wurde mir einige Tage zuvor der Roman „Alte Liebe“ von Heidenreich und Schroeder zugesteckt. Auch hier leitet die Protagonistin eine Bücherei und organisiert Lesungen. Einen Mann hat sie zwar zu Hause sitzen, mit dem ist es aber nicht mehr sehr aufregend. Als die beiden ihre alte Liebe neu entdeckten, war’s bambusblütengleich dann auch bald vollkommen aus und vorbei. Erstaunt hat mich die Häufung von Klischees in diesen beiden themennahen, aber in Stil und Anspruch doch sehr unterschiedlichen Werken.
Sander dringt tiefer in das Sujet ein. Ihr Hauptanliegen ist die Situation der älteren, meist alleinstehenden Frau, die versucht ihre nicht nur körperliche Einsamkeit zu bewältigen. Oft erinnern die neun Geschichten des 144 Seiten zählenden Bandes an die Fallbeispiele der Ratgeberliteratur. Verstärkt wird dies durch die meist nur mit Initialen bezeichneten Figuren. Die titelgebende Erzählung überzeugt mit einer differenzierten Sicht auf die von den Medien propagierte Anti-Aging-Sexualität und die Selbstbestimmung des Einzelnen. Doch nicht in allen Geschichten stehen diese Aspekte im Vordergrund.
Wir lesen auch von einer couragierten Alten, ‑sofort erscheint Inge Meysel in der Rolle‑, die selbstbewusst und voller Chuzpe den Rollator-Rambo gibt. In einer der letzten Geschichten verbringen zwei alternde Hochschuldozenten ihre Erste Klasse Bahnfahrt bei Wein und Schummerlicht und beklagen die mangelnde Orthografiefestigkeit und sexuelle Abgeklärtheit ihrer Studenten. Früher war alles besser.
Vielleicht sind diesem kulturpessimistischen Credo auch die übrigen Beziehungsgeschichten geschuldet. Wie zu Zeiten der Frauenliteratur erzählen sie von gescheiterten Ehen und bindungsunfähigen Männern. Überhaupt die Männer, hier bleibt kein Klischee ungenannt. Besonders stört mich, die immer wieder auftauchende Unterstellung alle Männer über 50 würden sich von ihren gleichaltrigen Partnerinnen trennen und sich den schon begierig auf sie wartenden jungen Frischen zuwenden. Das hat weder etwas mit Frauenbewegung und schon gar nichts mit Frauensolidarität zu tun.
Nichtsdestotrotz habe ich Sanders Buch nicht ohne Vergnügen gelesen und dachte an die gute alte Zeit, als alle Männer noch per naturam unzulänglich waren.