Von Bücherwürmern und anderem Unbill

Neuauflage des historischen Werkes „Bücherfeinde“ verfasst von William Blades

In der eng­li­schen Über­set­zung der Bi­bel von 1551 heißt es in Psalm 91,5: „Du sollst dich nicht fürch­ten vor ir­gend­ei­nem Kä­fer bei Nacht:“ Die­ser Vers ver­hallt un­ge­hört in den Oh­ren west­li­cher Bi­blio­the­ka­re, die ih­re Kä­fer so­wohl tags als auch nachts fürch­ten, denn sie krab­beln in hells­tem Son­nen­licht über al­les und in­fi­zie­ren je­de Ecke und Rit­ze der Bü­cher­re­ga­le, die sie als ih­re neue Hei­mat aus­er­ko­ren ha­ben. Es gibt ein Ge­gen­mit­tel in Form ei­nes Pu­ders, das In­sek­ti­zid heißt, auf Bü­chern und Re­ga­len al­ler­dings sehr un­an­ge­nehm ist. Nichts­des­to­we­ni­ger hat es auf die­se Schäd­lin­ge ver­hee­ren­de Aus­wir­kun­gen. Au­ßer­dem sei zur Be­ru­hi­gung ge­sagt, dass das In­sekt, so­bald es ir­gend­wel­che An­zei­chen von Krank­heit an der Tag legt, von sei­nen un­er­sätt­li­chen Mit­brü­dern mit dem­sel­ben Ge­nuss ver­zehrt wird wie fri­scher Kuchenteig.“

Vor Scha­ben und Bü­cher­wür­mern wer­den sich mo­der­ne eBook-Be­sit­zer wohl kaum fürch­ten, um­so mehr der tra­di­tio­nel­le User des Pa­pier­me­di­ums und erst recht der Ge­bil­de­te ver­gan­ge­ner Jahr­hun­der­te. In ei­nem sol­chen, ge­nau­er dem vor­letz­ten und da­mit Neun­zehn­ten leb­te und ar­bei­te­te Wil­liam Blades (1824–1890) als Buch­dru­cker und Re­stau­ra­tor. Als Lieb­ha­ber al­ter und neu­er Bü­cher ver­fass­te er 1888 ein Pam­phlet un­ter dem Ti­tel „The En­emies of Books“. Die­ses wur­de jetzt von der Wis­sen­schaft­li­chen Buch­ge­sell­schaft neu auf­ge­legt un­ter dem Her­aus­ge­ber Ha­rald Haar­kö­ter, dem es auch Über­set­zung und Ein­füh­rung verdankt.

Wer dar­in je­doch die Iden­ti­tät des land­läu­fig als Bü­cher­wurm be­ti­tel­ten Schad­in­sekts sucht, wird nicht er­folg­reich sein. Dem Quer­le­ser wird zwar ei­ne der­ar­tig be­ti­tel­te Zeich­nung von Ro­bert Hoo­kes aus dem Jahr 1665 ins Au­ge fal­len. Doch vor und hin­ter die­ser Ab­bil­dung steht ge­schrie­ben, daß es sich um ein ge­mei­nes Sil­ber­fisch­chen han­delt. Auch die­ses pflegt sich manch­mal in Bü­chern zu tum­meln, rich­tet aber we­nig Übel an.

Der Bü­cher­wurm exis­tiert folg­lich nicht, er taugt nur als lai­en­haf­ter Ober­be­griff für ein gan­zes Pan­op­ti­kum fa­ser­fres­sen­der Vie­cher. Grau­sig ge­nug bil­den die­se je­doch nur ei­nen klei­nen Teil all der Pla­gen und Wid­rig­kei­ten, de­nen Bü­cher vor über hun­dert Jah­ren aus­ge­setzt wa­ren. So al­ter­tüm­lich man­che der Ge­fah­ren an­mu­ten, so ak­tu­ell er­schei­nen ei­ni­ge noch heu­te. Ne­ben­bei stößt man auf his­to­ri­sche Fund­stü­cke und lernt ei­ni­ges über be­rühm­te Wer­ke his­to­ri­scher Typographie.

Blades glie­der­te sei­ne Ab­hand­lung in zehn Ka­pi­tel, wel­che die zehn größ­ten Bü­cher­fein­de be­nen­nen. Dar­un­ter ne­ben den Ur­ge­wal­ten „Feu­er“ und „Was­ser“, auch „Gas und Hit­ze“, die mensch­li­chem Miss­brauch zu­zu­ord­nen­den „Staub und Ver­nach­läs­si­gung“, „Igno­ranz und Fa­na­tis­mus“. Er ent­larvt Schäd­lin­ge aus der Tier­welt „Der Bü­cher­wurm“ und „An­de­re Schäd­lin­ge“, so­wie mensch­li­che, „Buch­bin­der“, „Samm­ler“, „Dienst­bo­ten und Kin­der“.

Ge­lehrt und in amü­san­tem Ton­fall schreibt Blades ge­gen sie an. Er schil­dert die Ge­fahr der ers­ten Glüh­bir­nen, die in der Bi­blio­thek des Bri­ti­schen Mu­se­ums fun­ken­sprü­hend Lek­tü­re und Le­ser Brand­wun­den zu­füg­ten. Da die Al­ter­na­ti­ve Dun­kel­heit und da­mit Le­se­ver­zicht be­deu­tet hät­te, nahm der Bi­blio­phi­le das Ri­si­ko in Kauf.

Wir er­fah­ren, daß der Gold­schnitt nicht nur als Zier son­dern ei­gent­lich dem Staub­schutz dien­te und le­sen von ba­nau­sen­haf­ten Bi­blio­the­ka­ren in alt­ehr­wür­di­gen Col­lege­bi­blio­the­ken. Nicht nur die­sen wa­ren ih­re Schutz­be­foh­le­nen schnup­pe, noch üb­ler spiel­ten ge­wief­te Ver­wer­ter den Schrif­ten mit, die sie als Zünd­ma­te­ri­al oder Klo­pa­pier schän­de­ten. Doch Blades lobt in­mit­ten die­ser Hor­ror­mel­dun­gen auch die hel­den­haf­ten Ken­ner, die um den Wert der Tex­te wuss­ten und so man­ches Klein­od vor Scha­fott und Klo­sett retteten.

Herz­zer­rei­ßend er­schei­nen die Be­mü­hun­gen des Au­tors um sei­ne Wurm­brut. Um den Feind zu iden­ti­fi­zie­ren, sam­mel­te er Lar­ven, wo sie ihm zwi­schen den Sei­ten be­geg­ne­ten, und setz­te sie in klei­ne Schach­teln. Dort be­ob­ach­te­te er ei­nen „mit jü­di­scher Über­lie­fe­rung voll­ge­stopf­ten grie­chi­schen Wurm“, füt­ter­te an­de­re mit Boe­thi­us-Frag­men­ten und Cax­t­on-Schnip­seln. Meist ver­star­ben sie schon nach we­ni­gen Wo­chen. Nur der Grie­che „gab sein Le­ben mit ex­tre­mer Ver­zö­ge­rung auf und ver­starb in­nig­lich be­trau­ert von sei­nem Hal­ter, der sich sehr auf sei­ne end­gül­ti­ge Ent­wick­lung ge­freut hät­te.“ Bes­ser ge­lingt dem For­scher ei­ne for­mi­da­ble Wurm­sta­tis­tik über Ka­li­ber und Durch­hal­te­ver­mö­gen der Wür­mer und trös­tet uns heu­ti­ge Noch-Buch­le­ser mit der Fest­stel­lung, daß mo­der­nes Pa­pier den Schäd­ling ekele.

In den fol­gen­den Ka­pi­teln wen­det Blades sich dem Mensch als Schäd­ling zu. An ers­ter Stel­le nennt er die Buch­bin­der. Die Dru­cker hin­ge­gen spart er aus, nicht weil sie un­schul­dig wä­ren, son­dern weil Blades nicht als Nest­be­schmut­zer gel­ten möch­te. Da­bei hat­te er si­cher­lich auch für sei­ne Be­rufs­ge­nos­sen schon ei­ne dantesk’sche Be­stra­fung er­son­nen. Die Buch­bin­der, de­ren Un­tat die star­ke Rand­be­schnei­dung der Bü­cher sei, woll­te er am liebs­ten über de­ren ei­ge­nen Pa­pier­res­ten rösten.

Es fol­gen die Samm­ler, die Sau­ber­ma­cher und schließ­lich ei­ne Pla­ge, die wohl je­der schon er­lebt hat, die Kin­der. So­fort stimmt man Blades und mit ihm Ho­raz zu, „Gro­ßer Ekel schlägt auf den Ma­gen, wenn ein Kna­be Bü­cher mit fet­ti­gen Hän­den be­grapscht“.

Kennt­nis­reich er­läu­tert Hek­tor Haar­köt­ter zu Be­ginn Per­son und Werk Wil­liam Blades. Au­ßer die­ser 20-sei­ti­gen Ein­füh­rung nebst Bi­blio­gra­phie, er­stell­te er zu­dem ei­nen An­mer­kungs­ap­pa­rat. Das Buch sei Bü­cher­wür­mern und ih­ren Fein­den empfohlen.

Wil­liam Blades, Bü­cher­fein­de (1888), hrsg. u. übers. v. Hek­tor Haar­köt­ter, 1. Aufl. 2012 Wis­sen­schaft­li­che Buch­ge­sell­schaft Darmstadt