Kream Korner is Dream Korner”

Anna Katharina Fröhlich besingt in ihrem neuen Roman die Sehnsucht nach Indien

Der Ver­such zu be­grei­fen, wes­halb man In­di­en liebt, ist eben­so sinn­los wie der Ver­such zu er­klä­ren, wes­halb man das Le­ben liebt.“

Kream Kor­ner ist nicht nur der blu­mi­ge Na­me ei­ner Gar­kü­che auf dem Dach in ei­ner in­di­schen Pro­vinz­stadt, Kream Kor­ner wird nach der Lek­tü­re des gleich­na­mi­gen Ro­mans zum In­be­griff für ganz In­di­en. Doch be­vor die Le­ser ge­gen En­de des Bu­ches die wack­li­gen In­stal­la­tio­nen die­ses Eta­blis­se­ment be­tre­ten, führt die Au­torin sie in die de­ka­den­te Welt der in­di­schen Ober­schicht. Prunk­vol­le Stadt­pa­läs­te be­geg­nen uns dort, in de­nen ei­ne „nach nas­sem Da­ckel­fell und Mot­ten­ku­geln rie­chen­de Küh­le“ herrscht und der Haus­herr sich in Gon­del­pan­tof­feln vor ei­nem ana­chro­nis­tisch an­mu­ten­den Flach­bild­schirm re­kelt. Es han­delt sich um Ma­ri­pal Singh Bill, das Ober­haupt ei­ner über­aus wohl­ha­ben­den Sikh-Fa­mi­lie, mit der Lord Les­lie, der ver­stor­be­ne On­kel der Ich-Er­zäh­le­rin, ei­ne di­plo­ma­ti­sche Freund­schaft ver­band. Frü­her wa­ren sie häu­fig Gäs­te der Bills, wel­che die Tan­te ger­ne als ei­ne „Ban­de ver­wöhn­ter Faul­pel­ze“ be­zeich­net, von de­nen man­cher „der­art von sei­nen Pri­vi­le­gi­en ver­blö­det war, dass er nur noch die Wet­ter­la­ge klar ein­zu­schät­zen ver­stand“.

Ge­mein­sam mit ih­rer Tan­te trifft die jun­ge Frau nun an­läss­lich ei­ner Hoch­zeits­ein­la­dung er­neut bei den Bills ein. Sie hat­te sich nach der Auf­ga­be ih­res Theo­lo­gie­stu­di­ums auf das süd­fran­zö­si­sche Kream Kor­ner is Dream Kor­ner”“ weiterlesen

Der Tennisballwecker des Zeitungsdompteurs

Existenzialistisches Grauen in Markus Orths’ neuem Roman „Die Tarnkappe

Man ist in den Knast des Le­bens ge­bo­ren und ti­gert dar­in auf und ab, le­bens­läng­lich, und war­tet auf den Tag der Ent­las­sung, den Tod, man war­tet mit Schre­cken dar­auf und mit Sehn­sucht.“ (S. 100)

Auch Si­mon Bloch war­tet nur noch dar­auf, daß ihm sein ei­ge­ner Zie­gel auf den Kopf fällt. Der 45-jäh­ri­ge, vor kur­zem ver­wit­wet und als Be­schwer­de­be­schwich­ti­ger tä­tig, hat be­reits mit sei­nem Le­ben ab­ge­schlos­sen. Als ein­zi­ges Über­ra­schungs­mo­ment bleibt ihm die Rei­hen­fol­ge der ein­zeln ge­fal­te­ten Zei­tungs­blät­ter bei der mor­gend­li­chen Lek­tü­re im Bus.

Vor et­li­chen Jah­ren be­reits hat­te er sei­nen Le­bens­traum vom Film­kom­po­nis­ten auf­ge­ge­ben. Da­mals, bei der Be­ob­ach­tung ei­nes Paa­res, das in „ödes­ter Mit­tel­mä­ßig­keit“ bei Ap­fel­saft­schor­le und Kirsch-Ba­na­nen­saft sei­nen Im­pro­vi­sa­tio­nen in der Jazz­knei­pe Wal­fisch lausch­te. Er fühl­te sich ent­larvt, er­kann­te „Der Ten­nis­ball­we­cker des Zei­tungs­domp­teurs“ weiterlesen

Tschick und Maik auf Lada-Tour

Skurrile Abenteuer zweier Jungs in Wolfgang Herrndorfs neuem Roman „Tschick

Dies ist ein gu­tes Buch, ein un­ter­halt­sa­mes Buch, flott und amü­sant, an man­chen Stel­len nach­denk­lich. Ein Buch für Ju­gend­li­che, wel­che den ewi­gen Vam­pirsch­mon­zes leid sind. Ein Buch eben nicht nur für Mäd­chen, son­dern auch für Jungs. Denn um die­se geht es.

Ge­nau­er, um zwei Vier­zehn­jäh­ri­ge, die im wirk­lich nicht leich­ten Zu­stand der Pu­ber­tät ih­re Iden­ti­täts­su­che be­wäl­ti­gen. Bei­de sind Au­ßen­sei­ter. Aus un­ter­schied­li­chen Grün­den sind sie we­der in ih­rer Klas­se noch in ei­ner Cli­que in­te­griert und be­sit­zen auch kei­nen sta­bi­len fa­mi­liä­ren Rück­halt. Sie kämp­fen mit den Lei­den der un­er­wi­der­ten ers­ten Lie­be, trin­ken sich die Schu­le schön und wol­len nie so wer­den wie ih­re El­tern. Sie glau­ben, an­ders zu sein als al­le an­de­ren, und dies führt sie in den gro­ßen Fe­ri­en schließ­lich zueinander.

Der pas­si­ve Ma­ik, der Haus, Swim­ming­pool, Tief­kühl­tru­he und vor al­lem sich „Tschick und Ma­ik auf La­da-Tour“ weiterlesen

Träume im Stauburwald

Schöne Sprüche in Lucy Frickes „Ich habe Freunde mitgebracht

Am An­fang steht die Flucht. Auf ei­ner knap­pen Sei­te be­geg­net der Le­ser vier Per­so­nen auf dem Weg nach Nor­den, zwei an­schei­nend schwer ver­letzt. Ei­ne Road­sto­ry ent­wi­ckelt sich den­noch nicht, die Ge­schich­te ist in der Rück­schau an­ge­legt. Zu­dem wird die Fahrt wohl eher eng als ra­sant ge­we­sen sein, denn sie er­folg­te in ei­nem mit vier Per­so­nen voll be­setz­ten VW Lu­po und das En­de ist an­ders als erträumt.

Wir ler­nen die vier Freun­de ken­nen. Mar­tha und Hen­ning sind ein Paar. Bet­ty, die beim Film als Skript­girl ar­bei­tet, ist mit Mar­tha be­freun­det, Jon, ein er­folg­lo­ser Schau­spie­ler, mit Hen­ning. Al­le ver­bin­det der Wunsch ih­rer bis­he­ri­gen Exis­tenz zu ent­flie­hen. Ganz tra­di­tio­nell träu­men die Frau­en vom per­sön­li­chen Glück, wel­ches sie in ei­nem Kind oder in ei­ner er­füll­ten Lie­bes­be­zie­hung ver­mu­ten. Die bei­den Män­ner er­hof­fen sich hin­ge­gen be­ruf­li­chen Erfolg.

In schnel­lem Wech­sel rich­tet Fri­cke den Fo­kus auf je­weils ei­ne der Haupt­per­so­nen und skiz­ziert mit rück­halt­los ehr­li­chen, oft sar­kas­ti­schen Be­mer­kun­gen auf we­ni­gen Sei­ten de­ren Welt­sicht. Die ent­täusch­te Bet­ty ver­ach­tet ih­ren Nach­barn, der ist „kei­ne 25 und hängt schon am Le­ben“, die Tren­nung von „Träu­me im Stau­bur­wald“ weiterlesen

Vatersorgen

Vermurkste Winterreise in Thomas Hettches Roman „Die Liebe der Väter

Ein Va­ter reist mit sei­ner Toch­ter nach Sylt, um die Win­ter­fe­ri­en im an­ge­mie­te­ten Reet­dach­do­mi­zil von Be­kann­ten zu ver­brin­gen. Das dor­ti­ge Kli­ma ist zu die­ser Jah­res­zeit rauh und un­ge­müt­lich und lässt die ent­ste­hen­de At­mo­sphä­re in der be­son­de­ren Fa­mi­li­en­kon­stel­la­ti­on zwi­schen dem un­ver­hei­ra­te­ten Va­ter und sei­ner zwi­schen den sich nicht lie­ben­den El­tern zer­rie­be­nen Toch­ter be­reits er­ah­nen. Zu­dem spielt die Hand­lung aus­ge­rech­net an den Ta­gen, de­ren Näch­te eben­falls die­ses un­heil­ver­hei­ßen­de Prä­fix tragen.

Die drei­zehn­jäh­ri­ge An­ni­ka und Pe­ter ver­le­ben die­se dem All­tag ab­ge­run­ge­ne ge­mein­sa­me Zeit als Zaun­gäs­te in ei­ner Bil­der­buch­fa­mi­lie aus Va­ter, Mut­ter, Toch­ter, Sohn und BMW. Zwi­schen Su­san­ne, der Ehe­frau des Or­tho­pä­den Achim, und Pe­ter be­stand einst ei­ne Schü­ler­lie­be, die sich „Va­ter­sor­gen“ weiterlesen

Voyeuristisches Putzen I.

Die Suche nach Nähe in Markus Orths’ Roman „Das Zimmermädchen“ — Literaturkreis 1/2011

Wer kennt dies nicht? Vor dem Ver­las­sen des Ho­tel­zim­mers noch schnell das Nacht­hemd wie­der in den Kof­fer stop­fen, da­mit we­nigs­tens die­ses in­ti­me Klei­dungs­stück nicht von den Hän­den ei­ner Frem­den be­rührt wird? Dass die­se Frau, denn im­mer noch han­delt es sich in den sel­tens­ten Fäl­len um ei­nen Mann, daß al­so die­se für Rei­ni­gung und Ord­nung des an­ge­mie­te­ten Zim­mers zu­stän­di­ge Per­son auch an­de­re In­ti­mi­tä­ten, näm­lich den ganz per­sön­li­chen Schmutz be­sei­tigt und die zer­wühl­ten Bett­la­ken glatt­zieht, nimmt man hin. Noch mehr, es freut ei­nen, wenn die­se im Preis in­be­grif­fe­ne Putz­ak­ti­on be­son­ders sorg­fäl­tig durch­ge­führt wurde.

Un­über­treff­bar in die­ser Dis­zi­plin gibt sich Orths Zim­mer­mäd­chen im Ho­tel Eden sei­nen Auf­ga­ben hin. Sie putzt zu­erst das Bad, dann saugt sie die Bö­den, wischt mit ei­nem feuch­ten Tuch den kaum sicht­ba­ren Staub, wech­selt die Bett­wä­sche nach Tur­nus und die Hand­tü­cher nach Bedarf.

Doch Lynn ge­nügt dies nicht. „Wo an­de­re Zim­mer­mäd­chen nichts mehr se­hen, fängt es bei Lynn erst an.“ Mes­ser und Dau­men­nä­gel krat­zen den Schmutz aus Rit­zen und von Ar­ma­tu­ren, sie rei­nigt so­gar den Spalt zwi­schen Spie­gel und Ka­cheln. Sie putzt un­sicht­ba­re Fle­cken und wür­de am liebs­ten „Voy­eu­ris­ti­sches Put­zen I.“ weiterlesen

Sissy meets Beatle

Eine Komposition aus Stimmen — Judith Zanders neuer Roman „Dinge, die wir heute sagten

Tris­tesse be­geg­net uns nicht nur in der ost­deut­schen Pro­vinz, son­dern über­all in Deutsch­land und wahr­schein­lich auch an­ders­wo. Doch ist die­ses Le­ben wirk­lich so er­eig­nis­los und oh­ne Span­nung. Gibt es wirk­lich über­haupt nichts?

Ju­dith Zan­der ver­setzt den Le­ser durch Spra­che und Zeit­ge­schich­te in die DDR einst und das neue Bun­des­land jetzt, vor­ge­führt an Bre­se­kow, ei­nem „häss­li­chen End­lein der Welt“. Die Um­stän­de ha­ben sich ge­än­dert, die Ver­hält­nis­se je­doch nicht, was der Blick auf die drei Ge­ne­ra­tio­nen des Or­tes zeigt.

Die al­te An­na Hans­ke ist nicht mehr und In­grid, die ver­lo­re­ne Toch­ter, kehrt pflicht­ge­mäß heim um „Sis­sy meets Beat­le“ weiterlesen

Frauenliebe – Apfeltriebe

Literaturkreis 07/2010 — Spielarten des Vergessens in Katharina Hagenas Der Geschmack von Apfelkernen

Er­in­nern und Ver­ges­sen sind die Haupt­mo­ti­ve die­ser Fa­mi­li­en­ge­schich­te, die in dem idyl­li­schen, aber fik­ti­ven Ort Boots­ha­ven, in ei­nem al­ten ver­win­kel­ten Bau­ern­haus, un­ter Ap­fel­bäu­men und an ei­nem schwar­zen See spielt.

Am An­fang steht der Tod, der ak­tu­el­le der Groß­mutter Ber­tha, den die Prot­ago­nis­tin Iris in den Hei­mat­ort ih­rer Vor­fah­ren führt, der zu frü­he Tod von Bert­has Schwes­ter An­na und der erst zwölf Jah­re zu­rück­lie­gen­de ih­rer Cou­si­ne, des­sen Ur­sa­che sich dem Le­ser erst am En­de des Ro­mans erschließt.

Die Tes­ta­ments­er­öff­nung of­fen­bart Iris über­ra­schen­der­wei­se die Erb­schaft des Haus. Spon­tan be­schließt sie ei­ni­ge Ta­ge im Ort zu blei­ben. Sie quar­tiert sich not­dürf­tig in das seit ei­ni­gen Jah­ren leer ste­hen­de Haus ein und er­in­nert sich. An ih­re dor­ti­gen Fe­ri­en­auf­ent­hal­te als Kind, an die Spie­le mit ih­ren Cou­si­nen, an den Gar­ten, an des­sen Früch­te und Ge­heim­nis­se, an die vie­len Tü­ren des Hau­ses und „Frau­en­lie­be – Ap­fel­trie­be“ weiterlesen

Dino fliegt ins All

Vorliebe, der neue Roman von Ulrike Draesner

Ei­ne Ju­gend­lie­be, sei es nun ei­ne un­aus­ge­leb­te oder gar ei­ne gro­ße, wie­der zu tref­fen nach­dem man sein gan­zes Er­wach­se­nen­le­ben an­der­wei­tig ge­liebt hat, mag pas­sie­ren, in Ro­ma­nen so­gar nicht selten.

Auch Ul­ri­ke Draes­ner baut in ih­rem neu­en, und mit dem So­lo­thur­ner Li­te­ra­tur­preis aus­ge­lob­ten Ro­man Vor­lie­be, auf eben die­se Idee. Ge­spannt ver­folgt die Le­se­rin, wie ei­ne Un­acht­sam­keit im Stra­ßen­ver­kehr ei­nen Un­fall ver­ur­sacht, des­sen Spät­fol­gen fa­tal um nicht zu sa­gen töd­lich sind.

Ein Stoff aus dem Pilch­er­träu­me er­wach­sen? Mit­nich­ten. Zwar gibt es auch hier exo­ti­sche Na­men, Sa­ra­man­di­pur und Ol­vaeus, und so­gar ei­nen rot­haa­ri­gen Eng­län­der, Ash­ley. Es gibt ei­fer­süch­ti­ge „Di­no fliegt ins All“ weiterlesen