Amos Oz schreibt in seinem neuen Roman „Judas“ über die Wirkmacht von Verrätern
„Fast alle Menschen gehen mit geschlossenen Augen durchs Leben, von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod. Auch Sie und ich, Schmuel, mein Lieber. Mit geschlossenen Augen. Würden wir die Augen auch nur eine Sekunde öffnen, würden wir auf der Stelle einen schrecklichen Schrei ausstoßen, wir würden schreien und nicht aufhören zu schreien.“
Als mein Literaturkreis das neue Werk „Judas“ des israelischen Schriftstellers Amos Oz für unser nächstes Treffen wählte, war ich zunächst skeptisch. Ich hatte für Modicks Rilke-Roman gestimmt, ein Thema, für das mich wesentlich stärker zu interessieren glaubte als für Judas, Jesus oder den unlösbaren Konflikt zwischen Israel und Palästina. Entsprechend voreingenommen begann ich die Lektüre, der ich eine Lust von höchstens 40 Seiten einräumte. Doch Amos Oz, der mit zahlreichen Romanen der meist übersetzte Autor Israels ist und als Anwärter für den Literatur-Nobelpreis gilt, verfügt über literarische Tricks, die sogar mir einen Thesenroman über Judas schmackhaft machen.
Handelt es sich überhaupt um einen Thesenroman? Welche Rolle Jesus und somit Judas im Judentum spielt, ist zunächst der Gegenstand einer Magisterarbeit, die der 25-jährige Schmuel Asch, Hauptfigur „Verrat als Fortschritt“ weiterlesen