Prousts Madeleine

Lebensmittelsensorik und Gedächtnispsychologie

Dass Er­in­nern die Grund­la­ge al­ler Dich­tung sei, er­klärt Proust sei­nen Le­sern ein­leuch­tend und sinn­lich durch die Made­lei­ne. Denn al­lei­ne der Ge­nuss die­ses klei­nen fran­zö­si­schen Ge­bäcks er­weck­te in ihm ei­ne mé­moi­re in­vo­lon­tai­re, ei­ne un­be­wuss­te Er­in­ne­rung, die her­vor­ge­ru­fen durch ein zu­fäl­li­ges sinn­li­ches Er­eig­nis, das er­neu­te Ein­tau­chen in ein zu­rück­lie­gen­des Ge­fühl mög­lich macht. Ganz klar setzt Proust die­ses un­be­wuss­te Er­in­nern von dem be­wusst her­bei­ge­führ­ten in­tel­lek­tu­el­len Er­in­nern ab. In der Ein­lei­tung zu der be­rühm­ten Text­stel­le be­tont er, daß er zwar an sei­ne Kind­heit in Com­bray wil­lent­lich den­ken kön­ne, aber „da die auf die­se Wei­se ver­mit­tel­te Kun­de von der Ver­gan­gen­heit ihr We­sen nicht er­fasst, hät­te ich nie­mals Lust ge­habt, an das üb­ri­ge Com­bray zu den­ken. Al­les das war in Wirk­lich­keit tot für mich.“

Erst der Ge­schmack des in ein we­nig Tee ge­weich­ten Ku­chens an sei­nem Gau­men er­weckt das all­sonn­täg­li­che Made­lei­ne-Ri­tu­al bei Tan­te Léo­nie und da­mit die Som­mer­fri­schen-Kind­heit in Com­bray zur le­ben­di­gen Erinnerung.

Die Be­gleit­um­stän­de die­ses Ge­dächn­ti­stricks lie­gen in der mensch­li­chen Sen­so­rik und Funk­ti­on un­se­res Hirns. Klaus Dürrschmid ent­larvt in sei­nem Auf­satz Zur Sen­so­rik von Made­lei­nes und Tee Proust „Prousts Made­lei­ne“ weiterlesen

Proust — Die ersten 100 Seiten

Einschlafschwierigkeiten

Wer kann sich nicht dar­an er­in­nern, wie qual­voll es sein kann ein­schla­fen zu sol­len oh­ne es zu wol­len. Es fehlt die nö­ti­ge Bett­schwe­re oder ein wich­ti­ges Ri­tu­al. Wel­ches Ri­tu­al kann schö­ner sein als der Gu­te-Nacht-Kuss, des­sen Be­sänf­ti­gung den Über­gang zum Schlaf leich­ter macht? Am ein­dring­lichs­ten be­schreibt dies Mar­cel Proust. Sei­ne Dar­stel­lung ver­setzt mich zu­rück in mei­ne Kind­heit. Auch ich se­he den Strei­fen Licht un­ter der Tür her­vor­schim­mern, wün­sche mir bei je­dem Schritt im Haus, dass sich die Tür zu mei­nem dunk­len Zim­mer öff­net, mei­ne Mut­ter sich über mein Bett beugt und mir so noch ein­mal ver­si­chert nicht al­lei­ne zu sein in den nächs­ten dunk­len Stunden.

Na­tür­lich ver­brach­te ich mei­ne Som­mer­fri­sche nicht in Com­bray. Zum Glück. Trotz der pri­vi­le­gier­ten An­nehm­lich­kei­ten wä­re mir die­se Um­ge­bung zu eng ge­we­sen. Prousts Rück­schau „Proust — Die ers­ten 100 Sei­ten“ weiterlesen