Darauf einen Bitter!

Enttäuschte Erwartungen erzeugt James Hamilton-Paterson mit “Kochen mit Fernet-Branca

Dio mio, das wird Schlä­ge ge­ben. Ich zit­te­re vor mei­nem nächs­ten Li­te­ra­tur­kreis­tref­fen und be­fürch­te, daß selbst ei­ne gro­ße Men­ge des Ti­tel­ge­söffs den an­de­ren Teil­neh­mer nicht zur Ver­dau­ung die­ser Lek­tü­re rei­chen wird.

Da­bei hat­te ich es doch nur gut ge­meint. Dies­mal soll­te es et­was Amü­san­tes wer­den, kei­ne Pro­blem­wäl­ze­rei, kei­ne nor­di­sche Fa­mi­li­en­ge­schich­te, kein In­zest, kein Mit­tel­al­ter und schon gar kein Be­zie­hungs­dra­ma. Zu­dem kam die Emp­feh­lung aus Tho­mas Böhms Le­se­kreis­buch, er wie­der­hol­te sie so­gar vor kur­zem noch­mals im Ra­dio.

Der Au­tor des Kat­zen­koch­bu­ches, und das ist hier wört­lich zu neh­men, Ja­mes Ha­mil­ton-Pa­ter­son, ist bri­ti­scher Jour­na­list und bis­her mit durch­aus Ernst­haf­tem über das Meer und fer­ne Län­der in Er­schei­nung ge­tre­ten. Für sei­nen ers­ten hu­mo­ri­gen Ro­man wur­de er ge­lobt. Bis über den grü­nen Klee so­gar, wenn man ei­ne No­mi­nie­rung für den Boo­ker Pri­ze so in­ter­pre­tie­ren darf. Trotz­dem las ich pro­be­hal­ber die ers­ten Sei­ten des Bu­ches, denn nach lang­jäh­ri­ger Le­se­kreis­er­fah­rung weiß ich, was Fehl­schlä­ge sind, und die­se soll­ten ge­ra­de bei stei­gen­dem Le­se- und Le­bens­al­ter un­be­dingt ver­mie­den wer­den. Tem­pus fugit!

Tat­säch­lich hat mich die­se Mi­schung aus Ita­li­en und Mon­ty Py­thon zu­nächst schwer be­geis­tert. Ich lag abends la­chend im Bett, was sel­ten vor­kommt, und den Mit­be­nut­zer die­ses Mö­bels zu ei­nem, Da wird sich der Le­se­kreis aber freu­en, hin­rei­ßen ließ. Der kom­men­de Kan­di­dat war ge­kürt, ich setz­te so­gar die bei­den Nach­fol­ge­bän­de die­ses Ro­mans so­fort auf mei­ne Wunschliste.

Ver­gnügt las ich wei­ter, woll­te wei­ter mei­nen Spaß ha­ben an den kru­den Er­fah­run­gen die­ses Eng­län­ders in der tos­ka­ni­schen Pro­vinz. Dort hat Ge­rald Sam­per sich in der Berg­ein­sam­keit der apua­ni­schen Al­pen ein Häus­chen auf­schwat­zen las­sen, um un­ge­stört als Ghost­wri­ter für grenz­de­bi­le Spit­zen­sport­ler zu ar­bei­ten. In die­ser krea­ti­ven Stil­le taucht un­ver­mit­telt Mar­ta auf, die nicht wie der Mak­ler, Ita­lie­ner und ge­wer­be­be­ding­tes Schlitz­ohr, ver­si­chert hat nur sel­ten, son­dern ste­tig sei­ne neue Nach­ba­rin sein wird. Sie ar­bei­tet an Mu­sik­ar­ran­ge­ments für die Film­bran­che. Der Kon­flikt zwi­schen Ru­he­be­dürf­nis und Mu­sik, al­so Krach, ist ge­legt. Ge­löst wird er in 47 Ka­pi­teln auf 359 Sei­ten, auf­ge­lo­ckert von Re­zep­ten aus Sam­pers krea­ti­ver Kü­che. Dar­un­ter ver­lo­cken „Mu­scheln in Scho­ko­la­de” so­wie der „Fisch­ku­chen” zum Ex­pe­ri­men­tie­ren. (Bett­nach­bar: Du bist ver­rückt! Ata­lan­te: Und wenn wir den Zu­cker­guß weglassen?)

Ge­nüss­lich las ich al­so wei­ter, da tauch­ten ers­te Un­ap­pe­tit­lich­kei­ten auf. Es wa­ren al­ler­dings nicht, wie die Ken­ner des Bu­ches ver­mu­ten mö­gen, die bis ins Ab­son­der­li­che ge­stei­ger­ten Re­zep­te des gu­ten Sam­per. Nein, we­der Knob­lauch­eis noch Kat­zen­ku­chen, ge­mäß Ti­tel ge­hö­rig mit Ma­gen­bit­ter ge­sät­tigt, er­zeug­ten Le­se­übel­keit. Es war eher das Ab­glei­ten in die dunk­len Re­gio­nen des Ver­dau­ungs­wit­zes, die mich beim Plumps­klo noch zum La­chen reiz­ten, bei den fla­tu­len­ten Ne­ben­wir­kun­gen der Koch­küns­te merk­li­ches Des­in­ter­es­se und beim Pups­bär nur noch Mit­leid er­zeug­ten. Ehr­lich, wer fin­det jen­seits der Pu­ber­tät ei­nen Pups­bär auf dem Klo lustig?

Na­tür­lich ist der vom Au­tor ge­schil­der­te Ger­ry Sam­per ein eit­ler Ego­zen­tri­ker, gründ­lich von sich selbst ge­blen­det, was zu ei­ner kunst­ge­rech­ten An­wen­dung von Sar­kas­mus un­ab­ding­bar ist. Aber war­um hat er sei­nen bri­ti­schen Hu­mor in­ner­halb we­ni­ger Sei­ten ver­lo­ren? Da­zu kommt die Fi­gur sei­ner Nach­ba­rin und Ge­gen­spie­le­rin Mar­ta. Na­tür­lich wur­de sie ge­wählt, um so ein her­vor­ra­gen­des Ex­em­pel zu der Dif­fe­renz von Ei­gen- und Fremd­bild durch zu spie­len. Auch tre­ten die we­ni­gen Ita­lie­ner vor al­lem des­halb als gut­aus­se­hend, ge­ris­sen, be­stech­lich oder ar­ro­gant auf, um den Le­ser un­miss­ver­ständ­lich mit sei­nen ei­ge­nen Kli­schees zu kon­fron­tie­ren. Aber war­um ist das al­les nur so lang­wei­lig ge­ra­ten? Die Fi­gur der Mar­ta und ih­re mu­si­ka­li­schen Tä­tig­kei­ten ha­ben mich nicht die Boh­ne in­ter­es­sie­ren. Der Auf­tritt be­rühm­ter ita­lie­ni­scher Re­gis­seu­re eben­so we­nig. Die Idee ein Feu­er­werk­s­in­fer­no zu ent­zün­den war we­nig über­ra­schend. Die ab­stru­se Kon­struk­ti­on von Mar­tas ma­fia­ähn­li­chem ost­eu­ro­päi­schen Her­kunsfts­hin­ter­grund tat kaum et­was zur Sache.

Da­zu kom­men sti­lis­ti­sche Män­gel. Ha­mil­ton-Pa­ter­son kon­stru­iert den Ro­man in al­ter­nie­ren­der Er­zähl­per­spek­ti­ve. Das kann bei ge­konn­ter Aus­füh­rung durch­aus den Le­se­genuß stei­gern. Wenn aber die un­ter­schied­li­chen Er­zähl­fi­gu­ren kaum durch Sprach­stil und Ge­dan­ken­gän­ge von­ein­an­der zu un­ter­schei­den sind, er­zeugt es mehr denn Ver­wir­rung Lan­ge­wei­le. Zum zwei­ten Mal ver­wen­de ich nun die­ses Wort in mei­nen Zei­len über die­sen ver­meint­lich so hu­mor­vol­len Ro­man. Da wird fol­gen­des Ge­ständ­nis kei­ne Über­ra­schung sein. Ich ha­be kaum noch ge­lacht und le­dig­lich aus Pflicht­be­wusst­sein mei­nen ei­ge­nen Buch­vor­schlag run­ter­ge­würgt. Und das oh­ne ei­nen ein­zi­gen Fer­net-Bran­ca, den be­nö­ti­ge ich noch für den Literaturkreis.

Al­ler­dings hat mich Sam­pers Koch­kunst doch noch ein­mal zum La­chen ge­reizt. Als ich un­längst auf ei­nem Au­to die Auf­schrift „Nor­we­gi­sche Wild­kat­zen aus dem Na­ab­tal” las, hät­te ich mich dort ger­ne er­kun­digt, ob sie auch räu­chern würden.

Viel­leicht war es ja doch gar nicht so ein schlech­tes Buch?

Trotz­dem su­che ich im­mer noch DEN amü­san­ten Ro­man. Hin­wei­se wer­den ger­ne ent­ge­gen genommen.

Ja­mes Ha­mil­ton-Pa­ter­son, Ko­chen mit Fer­net-Bran­ca, übers. von Hans-Ul­rich Möh­ring, Klett-Cot­ta, 1. Aufl. 2005

In cervisia amicitia

Männer-WG mit Trinkzwang” — Bier bringt Burschen zum Singen

Wel­ches Buch wä­re ge­eig­ne­ter bei ei­nem Ur­laub mit Amici und Mo­ret­ti am Fu­ße des Sas­so di Si­mo­ne ge­le­sen zu wer­den als das ei­nes Geo­lo­gen über Freund­schaft und Bier?  “Män­ner-WG mit Trink­zwang”, der neu er­schie­ne­ne Ro­man des von Ge­steins­for­ma­tio­nen in Soft­ware­sphä­ren ge­wech­sel­te und als Poet­ry Slam­mer be­kannt ge­wor­de­nen Kars­ten Ho­ha­ge ist dies al­le Mal.

Stellt euch al­so schon mal ei­ne Kis­te Bier kalt, die­se Lek­tü­re macht durs­tig. Nicht weil sie so tro­cken wä­re, son­dern weil sie Ap­pe­tit macht, Bier­ap­pe­tit. Ka­pi­tel um Ka­pi­tel lässt sich ei­ne Fla­sche lee­ren, auf Ex ver­steht sich. Wer auch zwi­schen­durch Durst ver­spürt, grei­fe ru­hig zu. Das Buch hat 45 kurz­wei­lig ver­fass­te Ka­pi­tel, die in au­then­ti­schem Set­ting ge­nos­sen wer­den wollen.

Au­ßer Un­men­gen an Bier, dem wir in Form des Ge­mäß be­geg­nen, tref­fen wir auf Müt­zen, Schär­pen, Fah­nen und Chor­damen. Ge­nau, wir be­fin­den uns in der Welt der Stu­den­ten­ver­bin­dun­gen. Be­wusst und durch die Lek­tü­re be­lehrt wäh­le ich nicht den Be­griff Bur­schen­schaft. Ho­ha­ge war Mit­glied ei­ner Sän­ger­schaft und schreibt als sol­cher ge­gen die im­mer­wäh­ren­de Ver­wechs­lung an. Dies un­ter­nimmt er in ei­ner Art fik­tio­na­li­sier­ten Bio­gra­phie. Der Ich-Er­zäh­ler trägt zwar den glei­chen Na­men wie der Au­tor, der Na­me der Sän­ger­schaft wur­de je­doch ver­klau­su­liert und der Stu­di­en­ort ver­birgt sich hin­ter der lie­be­vol­len Be­zeich­nung “schnu­cke­li­ge Uni­ver­si­täts­stadt”. Wir er­fah­ren von den ers­ten Stu­di­en­jah­ren ei­nes Ver­bin­dungs­stu­den­ten, der ei­gent­lich nur ein Zim­mer such­te und “auf dem Haus” doch viel mehr fand. Ei­nen Freund­schafts­bund, den er nach et­li­chen Mut­pro­ben und Räu­schen, eth­no­lo­gisch be­trach­tet ger­ma­nisch-ro­man­ti­sier­ten In­itia­ti­ons­ri­ten des frü­hen 18. Jahr­hun­derts, nicht mehr mis­sen möchte.

Die­ses Kon­glo­me­rat aus Ent­wick­lungs­ro­man und In­si­der­be­richt ist ei­ne durch­aus un­ter­halt­sa­me Lek­tü­re, ei­ne Er­in­ne­rung an die Stu­den­ten­zeit als vie­le Pro­ble­me noch so ge­ring wa­ren, daß sie in ei­ner hin­rei­chen­den Men­ge Bier er­tränkt wer­den konn­ten. Grö­ße­re Schwie­rig­kei­ten hin­ge­gen be­wäl­tig­te man ge­mein­sam. Der Ro­man er­zählt Out­si­dern, al­so Frau­en und an­der­wei­tig Eman­zi­pier­ten, wie es so zu­geht auf dem Haus. Ver­spür­te man nicht die sym­pa­thisch wir­ken­de Nost­al­gie für den durch Gers­ten­saft ge­ne­rier­ten Grup­pen­zu­sam­men­halt, so könn­te man lei­se lä­chelnd den­ken, daß man es sich schon im­mer so ge­dacht ha­be. Oder hat­te man es sich nicht viel schlim­mer vor­ge­stellt? Das Kli­schee der na­tio­na­lis­tisch kon­ser­va­ti­ven Ver­bin­dungs­ty­pen be­stä­tigt Ho­ha­ges Ro­man nicht. Er wi­der­spricht ihm ve­he­ment, vor al­lem was die ge­schil­der­te Sän­ger­schaft be­trifft. Ho­ha­ge er­wähnt al­ler­dings, daß es durch­aus an­de­re Fäl­le gibt.

Sein Plä­doy­er für ein ver­al­te­tes WG-Mo­dell, das zwar mit­un­ter pu­ber­tär wirkt, aber auf Freund­schaft und Ver­trau­en ba­siert, ist ein neu­es, et­was an­de­res Cam­pus­buch über ein al­tes Phänomen.

Nunc est bibendum!

Auf der vom Au­tor ein­ge­rich­te­ten Sei­te zum Buch lässt sich die Re­zep­ti­on bei Pres­se, Buch­han­del und Be­trof­fe­nen verfolgen.

Kars­ten Ho­ha­ge, Män­ner-WG mit Trink­zwang: Wie ich in ei­ner Ver­bin­dung lan­de­te und war­um das gar nicht so schlimm war, rororo, 1. Aufl. 2012