Gabinetto Segreto der Literatur

Im Dienst der Literatur erforscht Rainer Moritz „Wer hat den schlechtesten Sex“

9783421046444_CoverIm Nea­p­ler Mu­seo Na­zio­na­le fin­det sich ne­ben Mo­sai­ken und Ma­le­rei­en aus den vom Ve­suv zer­stör­ten Städ­ten ein spe­zi­el­ler Aus­stel­lungs­raum. Die­ses Ga­binet­to Se­gre­to war zum Schutz emp­find­sa­mer See­len lan­ge nur mit Son­der­er­laub­nis zu be­tre­ten. Wer die­se je­doch er­hielt, konn­te sich an ero­ti­schen bis derb se­xu­el­len an­ti­ken Ar­te­fak­ten er­göt­zen. Ein der­ar­ti­ges ero­ti­sches Ge­heim­ka­bi­nett im li­te­ra­ri­schen Sin­ne hat Rai­ner Mo­ritz zu­sam­men­ge­tra­gen. Der Ti­tel „Wer hat den schlech­tes­ten Sex? weist auf die spe­zi­fi­sche Aus­rich­tung sei­nes Sammelgebiets.

Rai­ner Mo­ritz, Kri­ti­ker und Lei­ter des Li­te­ra­tur­hau­ses Ham­burg, wur­de nicht erst in sei­nem Stu­di­um der Li­te­ra­tur­wis­sen­schaf­ten mit li­te­ra­ri­schen Feucht­ge­bie­ten kon­fron­tiert. Wie vie­le lei­den­schaft­li­che Le­ser such­te und fand er schon in jun­gen Jah­ren die bes­ten Stel­len in hei­mi­schen Bü­cher­ber­gen. Sei­ne In­itia­ti­on er­folg­te beim eher sof­ten Sex in „Nar­ziß und Gold­mund, deut­li­che­re Fin­ger­zei­ge hin­ge­gen lie­fer­te ihm Da­ni­el De­foe. Ich ge­hö­re zur glei­chen Ge­ne­ra­ti­on wie Mo­ritz und er­in­ne­re mich an ähn­li­che Er­fah­run­gen. Je­doch stieß ich im Re­gal mei­ner El­tern auf Ca­sa­no­va, wo­durch ich dem Hes­se-Le­ser ei­ni­ges vor­aus hat­te. Sein De­fi­zit konn­te Mo­ritz bald mit Moll Fland­ers“ aus­glei­chen, ein Bü­che­rei-Buch, wel­ches er un­be­hel­ligt stu­die­ren konn­te, wäh­rend mei­ne Mut­ter „Die Me­moi­ren der Fan­ny Hill kur­zer­hand entsorgte.

Die­sem sehr per­sön­li­chen Ein­stieg in das Me­tier lässt der Au­tor ei­ne akri­bi­sche Ana­ly­se von Stel­len und Stel­lun­gen fol­gen. Wis­sen­schaft­lich kor­rekt de­fi­niert er zu­nächst den Un­ter­su­chungs­ge­gen­stand. Was als ero­ti­sche, was als por­no­gra­phi­sche Li­te­ra­tur ge­wer­tet wird, wan­delt sich im Lau­fe der Zeit, wo­bei, wie die oben ge­nann­ten Bei­spie­le zei­gen, die äl­te­re nicht un­be­dingt die harm­lo­se­re sein muss. Mo­ritz kün­det in die­sem Ka­pi­tel an, wel­che dunk­len Win­kel er auf den nach­fol­gen­den Sei­ten er­kun­den wird. Sei­ne Quel­len fin­det der For­scher un­ter an­de­rem bei Gün­ter Grass und Cle­mens Mey­er, Char­lot­te Ro­che und E. L. Ja­mes. Mit de­ren Stel­len führt er äu­ßerst un­ter­halt­sam aus, „was die­ses Buch be­le­gen soll. Kan­di­da­ten für den „schlech­tes­ten Sex“ gibt es ge­nü­gend“.

Ist es über­haupt mög­lich, gut über Sex zu schrei­ben? Dis­ku­tiert wur­de dar­über schon oft. Mo­ritz er­in­nert an den be­rühm­ten Eklat im Li­te­ra­ri­schen Quar­tett. Ich den­ke an ei­ne Dis­kus­si­on in ei­nem schon längst er­lo­sche­nen Fo­rum. Wä­re das Ver­schwei­gen ei­ne Al­ter­na­ti­ve? Mir kommt da ein Satz Witt­gen­steins in den Sinn, „was sich über­haupt sa­gen läßt, läßt sich klar sa­gen; und wo­von man nicht re­den kann, dar­über muß man schweigen“.

Aber hilft es, die Sa­che ein­fach zu über­sprin­gen? Als Ge­währs­mann dient Wolf Haas, dem es trotz ei­nes Ti­tels wie „Die Ver­tei­di­gung der Mis­sio­nars­stel­lung“ pein­lich ist, über Sex zu schrei­ben oder da­von zu le­sen. Er ist in gu­ter Ge­sell­schaft, dies zei­gen bei­spiels­wei­se Flau­bert, Fon­ta­ne und Frisch. Sie wuss­ten, die schöns­te Sa­che der Welt ge­konnt zu ver­klau­su­lie­ren oder auf zahl­rei­chen We­gen zu um­ge­hen. Doch die Zei­ten der Kutsch­fahr­ten und Ge­dan­ken­stri­che schei­nen ein für al­le Mal vor­bei. Wel­che Blü­ten Schrift­stel­ler trei­ben, wenn sie es trei­ben las­sen, zeigt Rai­ner Mo­ritz an Wer­ken der neu­es­ten Li­te­ra­tur. Wir be­geg­nen Mar­tin Wal­ser, El­frie­de Je­li­nek und Phil­ip Roth, den üb­li­chen Ver­däch­ti­gen, so möch­te man mei­nen. Aber auch Bern­hard Schlink, Cle­mens J. Setz und Jo­na­than Fran­zen lie­fern Stel­len. Kor­rekt aber nie oh­ne Iro­nie kom­men­tiert der Con­nais­seur ih­re Me­ta­pho­rik. Sie be­die­nen sich bei Flo­ra („Brüs­te (…) wuch­sen (…) wie Kür­bis­se so­gar über den Bauch hin­aus“ — B. Sich­ter­mann) und Fau­na („Er kam wie ein trin­ken­des Pferd“ — J. Sal­ter), fin­den Pas­sen­des im Bau­markt oder Fein­kost­la­den (H‑J. Ort­heil). Den­noch, die Va­ri­an­ten des her­aus­ge­stöhn­ten Vo­ka­bu­lars sind be­grenzt. Al­lei­ne Groß­meis­tern wie Mar­tin Wal­ser ver­sa­gen auch hier nicht die Wor­te. Die­ser Au­tor weiß auch um die Lei­den des al­tern­den Man­nes, der als Spät­sün­der bis­wei­len zu „Ma­trat­zen­de­sas­ter“ (9. Kap.) neigt.

Manch­mal führt die Re­cher­che Mo­ritz in Ge­fil­de, die streng­ge­nom­men jen­seits der Li­te­ra­tur lie­gen. Schla­ger­tex­te von Udo Jür­gens und Lo­ri­ots un­ver­ges­se­ner Staub­sauger­ver­tre­ter fü­gen sich ne­ben ana­to­mi­sches De­tail­wis­sen und run­den das Bild ab. Auch Kri­ti­ker­kol­le­gen lässt der Au­tor zu Wort kom­men, um ge­gen En­de wie­der bei ei­nem der be­rühm­tes­ten, Mar­cel Reich-Ra­ni­cki, zu lan­den. Des­sen Mei­nung zu Mu­ra­ka­mis ero­ti­scher Po­tenz­poe­sie darf an­ge­zwei­felt wer­den. Im­mer­hin galt der ja­pa­ni­sche Au­tor im letz­ten Jahr nicht nur als An­wär­ter für den Li­te­ra­tur­no­bel­preis, son­dern eben­so für den Bad Sex in Fic­tion Award. Doch die­sen er­lang­ten nicht er und sein farb­lo­ser Herr Ta­za­ki, son­dern Ben Okris „The Age of Ma­gic“.

Im Be­reich der deut­schen Ge­gen­warts­li­te­ra­tur fehlt ei­ne der­ar­ti­ge Aus­zeich­nung noch. Sie wür­de um beim Phal­li­schen zu blei­ben in der dicht be­sie­del­ten Preis­land­schaft steil  her­aus­ra­gen. Wem der Ju­ry­vor­sitz ge­büh­ren wür­de, das ist nach die­sem Buch klar. Ein Re­gel­werk hat der künf­ti­ge Vor­sit­zen­de be­reits vor­ge­legt. Ge­hüllt in ein hap­tisch zwi­schen Samt und La­tex chan­gie­ren­des Co­ver wird es von ei­nem Li­te­ra­tur­ver­zeich­nis und ei­nem Re­gis­ter der an­ge­führ­ten Au­toren ergänzt.

Rainer Moritz, Wer hat den schlechtesten Sex, 1. Aufl. 2015, Deutsche Verlags-Anstalt

2 Gedanken zu „Gabinetto Segreto der Literatur“

  1. Ich fin­de die Re­zen­si­on perfekt:
    — per­sön­li­cher Ein­stieg, der ei­nen nicht pein­lich bio­gra­phis­tisch anspringt,
    — in­for­ma­ti­ve Ab­ste­ckung des Gegenstandes,
    — sprach­lich fein, hu­mo­rig und the­ma­tisch angelehnt.

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