Klangschalenklöppel

Hajo Steinerts „Der Liebesidiot“ erzählt von der Last an der Lust

Der Liebesidiot von Hajo SteinertDen Ich-Er­zäh­ler ei­nes Ro­mans nicht mit des­sen Au­tor gleich­zu­set­zen muss Le­sern und erst recht Re­zen­sen­ten nicht erst ge­sagt wer­den. Doch beim De­büt Der Lie­bes­idi­otvon Ha­jo Stei­nert, den ich als Li­te­ra­tur­kri­ti­ker schät­ze, wer­den so­wohl der Au­tor wie auch des­sen Haupt­fi­gur nicht mü­de dies zu betonen.

Nach­zu­prü­fen ist dies bei der Lek­tü­re des Ro­mans und bei dem Ge­spräch, das Wolf­gang Her­les mit dem Au­tor führ­te. Lag es nur dar­an, daß Her­les im In­ter­view auf dem Blau­en Buch­mes­se­so­fa das Al­ter von Au­tor und Haupt­fi­gur ver­wech­sel­te? Oder liegt es an der The­ma­tik des Ro­mans, der auf je­der zwei­ten Sei­te Ein­bli­cke in das voy­eu­ris­ti­sche Po­ten­ti­al ei­nes äl­te­ren Man­nes bietet?

Mit Si­cher­heit könn­ten die bei­den spe­zi­fi­schen Fä­hig­kei­ten, die der Au­tor mit sei­ner Fi­gur teilt, zu Ver­wechs­lun­gen füh­ren. Zum ei­nen ist dies die Sen­si­bi­li­tät für die ge­spro­che­ne Spra­che. Stei­nert wie sein Prot­ago­nist Sig­mund Sei­ler be­sit­zen die aus­ge­bil­de­te Stim­me und „Klang­scha­len­klöp­pel“ weiterlesen

Humus der Vergangenheit

Wie Erinnerungen gedeihen — Patrick Modianos „Gräser der Nacht“

modianoDu hast ei­ne kur­ze Zeit dei­nes Le­bens – ein­fach so in den Tag hin­ein, oh­ne dir Fra­gen zu stel­len – un­ter selt­sa­men Um­stän­den ge­lebt, um­ge­ben von eben­falls selt­sa­men Men­schen. Und erst viel spä­ter kannst du end­lich ver­ste­hen, was du er­lebt hast und wer die­se Men­schen aus dei­ner Um­ge­bung ei­gent­lich wa­ren, vor­aus­ge­setzt, man gibt dir end­lich die Mög­lich­keit, ei­ne ver­schlüs­sel­te Spra­che zu ent­wir­ren. Die meis­ten Leu­te sind nicht in die­ser La­ge: ih­re Er­in­ne­run­gen sind ein­fach, ge­rad­li­nig und ge­nü­gen sich selbst, und sie brau­chen auch nicht zig Jah­re, um sie zu erhellen.“

Die­sen Er­in­ne­rungs­pro­zess be­schreibt Pa­trick Mo­dia­no in sei­nem jüngs­ten Ro­man Grä­ser der Nacht. Doch nicht nur der Ich-Er­zäh­ler auch der Au­tor selbst sind Meis­ter des li­te­ra­ri­schen Er­in­nerns, wo­für der 1945 ge­bo­re­ne fran­zö­si­sche Ro­man­cier im zu­rück­lie­gen­den Jahr mit dem Li­te­ra­tur­no­bel­preis ge­ehrt wurde.

Sein zu­nächst na­men­lo­ser Held, des­sen Vor­na­me Jean sich erst spät of­fen­bart, rät­selt noch im­mer am Ver­schwin­den sei­ner eins­ti­gen Lie­be Dan­nie. Er be­tritt Or­te der Ver­gan­gen­heit und taucht durch sie in die zu­rück­lie­gen­de Zeit. Doch han­delt es sich an­ders als in Prousts Re­cher­che nicht um ei­ne „Hu­mus der Ver­gan­gen­heit“ weiterlesen