Eine vielköpfige, wunderliche Familie“

Tilmann Lahmes Biographie über die Manns schenkt neue Einblicke und ein großes Lesevergnügen

 

MannsAl­le glück­li­chen Fa­mi­li­en äh­neln ein­an­der, je­de un­glück­li­che aber ist auf ih­re ei­ge­ne Art unglücklich.“

Die­ser ers­te Satz in Tol­stois An­na Ka­re­ni­na gilt auch für die Manns, die be­kann­tes­te Schrift­stel­ler­fa­mi­lie Deutsch­lands. Li­te­ra­tur über sie lässt sich in Re­gal­me­tern mes­sen, nicht nur we­gen der welt­weit be­rühm­ten Wer­ke ih­res Ober­haupts, son­dern weil sie al­le zur Fe­der griffen.

Der His­to­ri­ker und Ger­ma­nist Til­mann Lah­me, der 2009 mit ei­ner Bio­gra­phie über Go­lo Mann her­vor­trat, ge­währt nun mit Die Manns: Ge­schich­te ei­ner Fa­mi­lie neue Ein­bli­cke. Bis­her un­be­kann­te Fa­mi­li­en­brie­fe bil­den die Grund­la­ge sei­ner Ana­ly­se. Sie setzt im Früh­jahr 1922 ein, als das Ehe­paar Mann die Pu­ber­täts­pro­ble­me ih­rer Äl­tes­ten, Eri­ka und Klaus, kur­zer­hand mit der In­ter­nats­ver­schi­ckung löst. Sie en­det im Jahr 2002 mit dem Tod der Toch­ter Eli­sa­beth. Auf den gut 400 Sei­ten da­zwi­schen er­zählt Lah­me von den Mit­glie­dern der Kern­fa­mi­lie Mann mit ge­le­gent­li­chen Sei­ten­bli­cken auf die Schwie­ger­el­tern, den Bru­der Hein­rich und die Enkel.

Sei­ne Haupt­per­so­nen sind die acht Manns, Tho­mas, Ka­tia, Eri­ka, Klaus, Go­lo, Mo­ni­ka, Eli­sa­beth und Mi­cha­el. Im Fa­mi­li­en­jar­gon, Pie­lein, Mie­lein, Eri, Eis­si, Mo­ni, Me­di, Bi­bi und das Göl­chen. Ih­ren Wer­de­gang be­leuch­tet Lah­me wech­sel­wei­se und streng chro­no­lo­gisch, Jah­res­zah­len auf je­der Dop­pel­sei­te bie­ten Ori­en­tie­rung. Er­gänzt wer­den sie von kur­zen Ein­schü­ben der his­to­ri­schen Er­eig­nis­se und von Ein­bli­cken in die wech­sel­vol­le Ge­schich­te des S. Fi­scher Verlags.

In ins­ge­samt sie­ben Ka­pi­teln er­zählt Lah­me von den Be­zie­hun­gen in­ner­halb der Fa­mi­lie. Die­se sind ge­prägt von Geld, Gel­tung und Ge­müt. Eins scheint das an­de­re zu be­din­gen. Die Kin­der schi­cken Bet­tel­brie­fe aus dem In­ter­nat, die ih­nen Mut­ter Ka­tia bis ins Er­wach­se­nen­al­ter hin­ein er­füllt, sei­en sie noch so ab­strus. Ähn­li­chen In­halts sind auch die Schrei­ben Manns an sei­ne Mä­ze­nin Agnes Mey­er. Sie be­wun­dert den Schrift­stel­ler, ver­hilft ihm zu Amt und Tan­tie­men, fi­nan­ziert sei­ne Vil­la und wird oben­drein um ein Weih­nachts­prä­sent für die er­wach­se­ne Toch­ter Eli­sa­beth und um ei­nen Sma­ragd­ring für den Ei­gen­be­darf angegangen.

Eben­so auf­fäl­lig zeigt sich Mann ge­gen­über sei­nen Kin­dern, die Lieb­lings­töch­ter Eri­ka und Eli­sa­beth ein­mal aus­ge­nom­men. Die Kin­der blei­ben Ka­ti­as Sa­che, bei Pro­ble­men hel­fen Geld und In­ter­na­te. Die An­er­ken­nung ih­rer Ta­len­te, die Em­pa­thie für ihr We­sen, ver­sagt der Va­ter ih­nen. Er kann es nicht zei­gen, auch wenn er ih­re Per­sön­lich­keit durch­aus wahr­nimmt, wie sei­ne zahl­rei­chen li­te­ra­ri­schen Ver­ar­bei­tun­gen be­wei­sen. Ob er sei­ne Kin­der je­doch er- oder ver­kann­te, sei dahingestellt.

Es scheint, daß Tho­mas Mann nicht nur sei­ne Ho­mo­ero­tik in Li­te­ra­tur sub­li­mier­te, son­dern auch sei­ne Käl­te. War­um dies so war, dar­auf deu­ten die von Lah­me ana­ly­sier­ten fa­mi­liä­ren Be­din­gun­gen. De­pres­si­on als Mann’scher De­fekt be­fiel, so die Quel­len, fast al­le Mit­glie­der die­ser Fa­mi­lie. Der Va­ter wan­delt sie in Li­te­ra­tur, die Mut­ter ver­steckt sie hin­ter Tat­kraft und Pflicht­ge­fühl, die Kin­der un­ter­lie­gen ihr. Klaus und Eri­ka kom­pen­sie­ren sie durch ein ex­al­tier­tes Le­ben. Die sen­si­ble Mo­ni­ka, von den El­tern früh als dumm ab­ge­stem­pelt, fällt trotz et­li­cher Aus­bruchs­ver­su­che im­mer wie­der in die ihr zu­ge­wie­se­ne Ver­sa­ger­rol­le. Nur der kon­se­quen­te Rück­zug ver­hin­dert Schlim­me­res. Mi­cha­el, der Jüngs­te, trägt als Klein­kind den Bei­na­men Bei­ßer. Die Grün­de für sei­nen Jäh­zorn ver­steht der Va­ter eben­so we­nig, wie den Ver­such des an­ge­trun­ke­nen Ju­gend­li­chen sich ihm zärt­lich zu zei­gen. Der ver­geb­li­che Wunsch die­se Di­stanz zu über­win­den ver­ur­sacht noch dem er­wach­se­nen Mi­cha­el Alb­träu­me, was er dem äl­te­ren Go­lo ge­steht. Die Brü­der tau­schen sich über ihr ge­mein­sa­mes Leid und das neu­es­te An­ti­de­pres­si­vum aus. Wäh­rend Mi­cha­el, wie schon Klaus, von der Krank­heit be­siegt wird, wehrt sich Go­lo erfolgreich.

Lah­me be­rich­tet da­von in ein­zel­nen bio­gra­phi­schen Epi­so­den, die er al­ter­nie­rend an­ein­an­der reiht. Sie um­fas­sen mal ein hal­be, sel­ten mehr als ei­ne gan­ze Sei­te und er­zeu­gen so ei­ne mehr­stim­mi­ge, un­ter­halt­sa­me Kom­po­si­ti­on, de­ren kla­rer, schnör­kel­lo­ser Stil an­ge­nehm klingt. Da­bei bleibt der His­to­ri­ker Lah­me durch­aus sei­nem Me­tier ver­pflich­tet, er be­legt sei­ne Aus­füh­run­gen mit Zi­ta­ten und räumt un­be­wie­se­ne Le­gen­den aus dem Weg. Die schrift­li­chen Quel­len wer­den von zahl­rei­chen Ab­bil­dun­gen er­gänzt. Sie schei­nen die Aus­füh­run­gen zu unterstreichen.

Ein Fo­to (Abb.6) aus dem Jahr 1927 zeigt die Manns an der Kaf­fee­ta­fel, ei­ne un­sicht­ba­re Li­nie trennt die Fa­mi­lie. Auf der ei­nen Sei­te sitzt Tho­mas Mann mit der klei­nen Eli­sa­beth, Me­di, auf dem Schoß. Eri­ka lacht in die Ka­me­ra, der hin­ter ihr aus der Drei­er­grup­pe her­aus­ra­gen­de Klaus blickt lä­chelnd zur Mut­ter. Hin­ter die­ser rei­hen sich auf der an­de­ren Sei­te Go­lo, Mi­cha­el und Mo­ni­ka, mit ent­täusch­ter Mie­ne der Ka­me­ra zu­ge­wandt. Die­se Kon­stel­la­ti­on of­fen­bart Lieb­lings- und Ne­ben­kin­der, was ei­ne spä­te­re Auf­nah­me (Abb.11) aus dem Jahr 1936 be­stä­tigt. Tho­mas Mann und Eli­sa­beth ste­cken ver­traut die Köp­fe zu­sam­men. Ka­tia steht ei­nen hal­ben Schritt hin­ter Eli­sa­beth und be­ob­ach­tet dies mit Wohl­wol­len, wäh­rend Mo­ni­ka und Mi­cha­el aus et­was grö­ße­rer Di­stanz zu­se­hen. Sie ste­hen au­ßer­halb des engs­ten Kreises.

Die jüngs­te der bei­den Lieb­lings­töch­ter, Eli­sa­beth Mann Bor­ge­se, scheint als ein­zi­ge weit­ge­hend un­be­schä­digt durch ihr lan­ges Le­ben ge­kom­men zu sein. Als Frau mit ei­ner Vor­lie­be für ab­ge­han­ge­ne Ehe­gat­ten, die als Hun­de­domp­teu­se re­üs­siert und zur Ret­te­rin der Mee­re wird, scheint sie ge­ra­de­zu ei­ner No­vel­le ih­res Herrn­pa­pa­le zu entstammen.

Im letz­ten äu­ßerst in­ter­es­san­ten Teil der Un­ter­su­chung zeigt Lah­me, wie sich die Kin­der nach dem Tod des Va­ters an sei­nem Nach­lass ab­ar­bei­ten. Eri­ka und Mo­ni­ka ver­öf­fent­li­chen im Fol­ge­jahr zwei Bio­gra­phien, die der Spie­gel un­ver­hoh­len als Ver­mark­tung be­zeich­net. We­ni­ge Jah­re spä­ter edi­tiert Eri­ka als Toch­ter­phi­lo­lo­gin die Brie­fe des Va­ters. Ih­re will­kür­li­chen Kür­zun­gen und un­ge­nau­en An­mer­kun­gen er­zeu­gen viel Kri­tik. Die Rat­schlä­ge Go­los, der als His­to­ri­ker zu mehr Ob­jek­ti­vi­tät und Sorg­falt mahnt, schlägt sie aus. Ein Buch Mo­ni­kas über die schrei­ben­de Fa­mi­lie ver­hin­dert Eri­ka. Sie will vie­les im Ver­bor­ge­nen las­sen, nicht nur die ho­mo­ero­ti­schen Sei­ten des Va­ters, son­dern vor al­lem die be­schä­dig­ten Fa­mi­li­en­per­sön­lich­kei­ten. Dies al­les of­fen legt schließ­lich die Pu­bli­ka­ti­on von Manns Ta­ge­bü­chern ab 1981. Sie zei­gen den Schrift­stel­ler in sei­ner Wi­der­sprüch­lich­keit, aber auch, wie Mar­cel Reich-Ra­ni­cki in der F.A.Z. schrieb, „sei­nen Mut und die Grö­ße, sich der Nach­welt aus­zu­lie­fern“.

Er­gänzt wer­den die­se Do­ku­men­te nun durch die auf­schluss­rei­che und un­ter­halt­sa­me Bio­gra­phie Til­mann Lah­mes, die ih­rer­seits durch ei­nen knapp 60 Sei­ten um­fas­sen­den wis­sen­schaft­li­chen Ap­pa­rat er­gänzt wird.

Die zu­grun­de­lie­gen­de Fa­mi­li­en­kor­re­spon­denz wird Til­mann Lah­me im nächs­ten Jahr als Mit­her­aus­ge­ber im S. Fi­scher Ver­lag vorlegen.

Tilmann Lahme, Die Manns, Geschichte einer Familie, S. Fischer Verlag, 1. Aufl. 2015

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