Konrad O. Bernheimer gewährt in „Narwalzahn und Alte Meister“ private Einblicke in die Welt des Kunsthandels
Mit Moscherabien, hölzernen Gittern, die einst in Nordafrika nicht nur Haremsfenster vor unerlaubten Einblicken schützten, stattete der Kaufmann Lehmann Bernheimer vor knapp 150 Jahren das Bad seiner Münchner Wohnung aus. Heute zieren sie die Wände seiner Ururgroßenkelin. Nicht nur dieser Gegenstand verbindet die Beiden auch ihre Leidenschaft für Kunst und schöne Dinge. Der Händler ausgesuchten Interieurs und die Galeristin wählten Kunst als Profession. Auch die Familienmitglieder der zwischen ihnen liegenden Generationen machen und machten ihre Geschäfte auf diesem Gebiet, darunter Konrad Bernheimer, der Verfasser der vorliegenden Firmen- und Familiengeschichte.
Ihr Titel „Narwalzahn und alte Meister“ deutet auf die lange und vielfältige Tradition des Metiers. Einst waren es die Kunst- und Wunderkammern, in denen kunstsinnige Fürsten Kuriosa sammelten, die von ihrer Weltläufigkeit künden sollten. Auch heute regt die Liebe zur Kunst Sammler zum Erwerb an. Auch dient Kunst nach wie vor als Statussymbol der Distinktion und nicht selten der reinen Investition. Zwischen Sammler und Objekt steht der Händler. Als solcher blickt Konrad Bernheimer in persönlichen Erinnerungen auf das Schicksal der Firma und der Familie zurück.
In der fünften Generation führt er das Handelsunternehmen Bernheimer, das sein Vorfahr Meier Bernheimer in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts als ambulanter Stoffhändler begann. Seine Nachfolger erweiterten ihr Sortiment durch antike Teppiche und ostasiatisches Kunsthandwerk. In dem 1864 am Münchner Salvatorplatz gegründeten Geschäft spezialisierte sich Lehmann Bernheimer auf hochwertiges Interieur, 1882 wurde er Hoflieferant und eröffnete 1889 eines der ersten großen Einrichtungskaufhäuser Münchens, das Palais Bernheimer am Lenbachplatz. Diese Anfänge des Unternehmens schildert der Autor im ersten Teil seiner vierteiligen Familiengeschichte. Er endet mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten, die für die Bernheimers, deutsche Bürger jüdischen Glaubens, das Exil zur Folge hatte. Beziehungen, Glück und Geld ermöglichten eine Emigration nach Venezuela, wo sie nach dem Zwangskauf einer abgewirtschafteten Plantage aus dem Besitz von Görings Verwandtschaft zu Kaffeeproduzenten wurden.
Im Folgenden schildert der Autor den Wiederaufbau der Münchner Firma nach Kriegsende und seinen beruflichen Werdegang. Geprägt durch die regelmäßigen Besuche mit dem Großvater in den großen Museen Münchens studierte er Kunstgeschichte und sammelte erste Geschäftserfahrungen im Londoner Auktionshaus Christie’s. Vom Antiquitätenhändler entwickelte er sich zum Kunsthändler spezialisiert auf den Handel mit den Werken der Alten Meister. Mit der Übernahme von Colnaghi etablierte er sich als einer der bedeutenden europäischen Kunsthändler.
Die sehr persönlich gehaltene Biographie bietet erkenntnisreiche Einblicke. Besonders die Details über das Kaufhauspalais am Lenbachplatz sind aufschlussreich. Es beherbergte nicht nur einen stahlgesicherten Tresor für die wertvollen Teppiche und Musterzimmer, die über ein Schienensystem von Stoffbahnen den einzurichtenden Räumen der Kunden angepasst werden konnten. Der neobarocke Bau zog zudem trotz seiner Funktion wohlhabende Bewohner in die großzügigen Wohnungen der oberen Etagen.
Im zeitgenössischen Teil des Buches erhält der Interessierte Informationen über die Usancen von Kunstauktionen und Kunstmessen. Dies liest sich ganz und gar nicht trocken, da viele Anekdoten die Erzählungen des Kunsthändlers auflockern. Konrad O. Bernheimer verrät, warum er auf den Handel mit antikem chinesischen Porzellan verzichtet. Wir erfahren, daß der berühmte Schreibtisch Thomas Manns ein echter Bernheimer ist und wie sich einst der Papst bei Bernheimers einen Stuhl borgte.
Im letzten Teil des Buches offenbart der Autor Persönliches. Freimütig berichtet er von den Belastungen, die das Tabu um den frühen Tod des Vaters in ihm auslösten, und ebenso von seiner großen Freude über die Geburt seines Enkels.
Der Stolz des Verfassers ist in seinem Werk spürbar. Auch in seiner Niederschrift steht er ganz in der Tradition seines Großvaters Otto, dieser gab anlässlich seines 80. Geburtstags seine „Erinnerungen eines alten Münchners“ heraus.
Allerdings wäre ein intensives Lektorat wünschenswert gewesen. So hätten sich nicht nur manche Fehler und chronologische Unklarheiten vermeiden lassen, sondern es hätte auch verhindert werden können dem Palazzo Ducale in Urbino den Tort anzutun, Montefeltros Studiolo mit den bemerkenswerten Intarsien zu einer Replik zu degradieren. Keineswegs befindet das Original in New York, das Metropolitan zeigt das Studiolo aus Montefeltros Residenz in Gubbio.
An dieser Stelle, die pars pro toto zeigt, wie der Raubbau an europäischen Kunstschätzen von statten geht, sei die Frage erlaubt, ob Bernheimers Kritik an den Exportbegrenzungen für Kunstgegenständen in den europäischen Staaten nicht etwas zu kurz gedacht ist. Ohne diese führten die Begehrlichkeiten finanzstarker Sammler in Amerika und Asien wohl bald dazu, daß dem Alten Europa bestenfalls wohlkopierte Repliken blieben. Europäische Kunsthändler müssten sich dann wohl wieder dem Stoffhandel zuwenden.
Nichtsdestotrotz habe ich diese anregende Biographie gerne gelesen. Ergänzt wird sie von vielen Schwarz-Weiß-Abbildungen, Zeittafel, Stammbaum und Personenregister.
Konrad O. Bernheimer, Narwalzahn und alte Meister, Hoffman und Campe Verlag, 1. Aufl. 2013