gordimerlesen — Resümee eines Leseprojekts

Zu wenig Zeit für dieses?

Der neue Ro­man der 89-jäh­ri­gen No­bel­preis­trä­ge­rin Na­di­ne Gor­di­mer spielt wie al­le ih­re Ro­ma­ne in Süd­afri­ka. Die­ser Staat, die Hei­mat die­ser sich selbst als wei­ße Süd­afri­ka­ne­rin emp­fin­den­den Au­torin, ist auch die Haupt­fi­gur in „Kei­ne Zeit wie die­se“. Als wei­te­re tritt ein Ehe­paar auf, der Wei­ße Ste­ve und die Schwar­ze Ja­bu­li­le. Die­ses Mi­schung und ih­re Zug­hö­rig­keit zum An­ti­apart­heids­kampf mach­te sie zu ei­nem klan­des­ti­nen Paar, zu­nächst leb­ten sie als Ge­nos­sen in Swa­si­land, dann il­le­gal in ei­ner Sied­lung am Rand ei­ner Stadt ih­res Hei­mat­staa­tes. Hier setzt die Er­zäh­lung ein und schil­dert, wie die Bei­den die­se Wohn­la­ge zu Guns­ten ei­nes klei­nen Häus­chens in der Vor­stadt auf­ge­ben. Dort le­ben sie in der al­ter­na­ti­ven Ge­mein­schaft der Ex-Ge­nos­sen, eher als Bo­hè­me denn als Bour­geois. Doch dies än­dert sich, Kin­der wer­den ge­bo­ren, Kar­rie­ren ver­folgt. Die Le­bens­um­stän­de und Be­zie­hun­gen ver­än­dern sich ge­nau so wie die po­li­ti­schen Zu­stän­de sich ver­schlech­tern. Es of­fen­bart sich, daß die Zie­le des Kamp­fes nicht er­reicht wur­den. Ent­ge­gen al­ler Idea­le hat sich ei­ne neue Un­ge­rech­tig­keit ent­wi­ckelt, die nicht auf un­ter­schied­li­cher Haut­far­be ba­siert, son­dern auf der Kluft zwi­schen arm und reich, ge­för­dert und nicht ver­hin­dert von kor­rup­ten Po­li­ti­kern. Gor­di­mer wirft über ei­ne Span­ne von 16 Jah­ren Schlag­lich­ter auf die Ent­wick­lun­gen von Ehe, Fa­mi­lie und dem Freun­des­kreis der Ge­nos­sen, für die­se gilt eben­so wie für die Po­li­tik Süd­afri­kas, „Nichts ist wie es scheint“.

Ei­ne har­te Kri­tik an der süd­afri­ka­ni­schen Re­gie­rung, die Gor­di­mer ne­ben der bür­ger­li­chen In­tel­li­genz für die ka­ta­stro­pha­len Zu­stän­de ih­res Lan­des ver­ant­wort­lich macht, ist der An­trieb für die­sen Ro­man. Sein Ziel ist es die­se Miß­stän­de be­wusst zu ma­chen. Dies ist Gor­di­mer ge­lun­gen, doch auf ei­ne an­stren­gen­de Wei­se. Stil und Spra­che er­schwe­ren den Zu­gang. Satz­teil­ket­ten, nicht im­mer lo­gisch auf­ein­an­der­fol­gend, doch mit zahl­lo­sen Kom­ma­ta von­ein­an­der ge­trennt, sind mal Ge­dan­ken, mal Ge­re­de, nicht im­mer ein­deu­tig zu zu­ord­nen. Man­che Über­set­zungs- oder Sinn­feh­ler kom­men da­zu. Das mag man hin­neh­men. Viel­leicht ge­bie­tet es auch die Ehr­furcht vor ei­ner alt­ehr­wür­di­gen No­bel­preis­trä­ge­rin, ihr den Wunsch nach kei­nem Lek­tor zu ge­wäh­ren. Das Ver­ständ­nis der Le­ser ver­wirrt es eher.

Nach ei­ner Wei­le, bei mir hat es un­ge­fähr die Hälf­te der im­mer­hin 506 Sei­ten ge­dau­ert, liest man sich ein und wun­dert sich nicht mehr über Sät­ze, wie „In der Part­ner­schaft der Idea­le Lie­be, se­xu­el­le Er­fül­lung und Zu­kunfts­pfand Kin­der, die das Mys­te­ri­um na­mens Ehe ist, ist die Bil­dung Ste­ves Ab­tei­lung. Fel­sen ist un­ter ih­ren Fü­ßen, un­ter der un­ter­schied­li­chen Ar­beit, die je­der tut; ih­re ge­mein­sa­men Überzeugungen.”

Viel stär­ker hat mich der deut­lich er­ho­be­ne Zei­ge­fin­ger ge­stört. Wenn man nach ei­ner Wei­le mit den süd­afri­ka­ni­schen Zu­stän­den und Gor­di­mers Kri­tik dar­an ver­traut ist, und sie sich durch ei­ge­ne Re­cher­chen er­schlos­sen hat, ‑hier wä­re ein Glos­sar dem we­ni­ger kun­di­gen Le­ser hilfreich‑, fällt die Ab­sicht der Au­torin ins Au­ge. Die ei­gent­li­che Hand­lung mit ih­ren Per­so­nen dient als Ex­em­pel um Gor­di­mers po­li­ti­sche Mei­nung zu trans­por­tie­ren. Dass die­se durch­aus be­rech­tigt ist, möch­te ich ihr als ehe­ma­li­gem Mit­glied des ANC kei­nes­falls in Ab­re­de stel­len. Al­ler­dings ist sie durch­schau­bar und macht die Ent­wick­lun­gen im Ro­man vorhersehbar.

Ein wei­te­res Man­ko ist die un­ge­heu­re Red­un­danz. Wenn der aus­wan­de­rungs­wil­li­ge Ste­ve sich In­for­ma­ti­ons­ma­te­ri­al über Aus­tra­li­en durch­liest, ist es er­mü­dend die glei­chen Fak­ten meh­re­re hun­dert Sei­ten spä­ter noch­mals von Ja­bu re­pe­tie­ren zu las­sen. Dies nur ein Bei­spiel un­ter vie­len, die mich po­si­tiv dar­an er­in­ner­ten, daß ich noch nicht ver­gess­lich bin. In ei­nem Ro­man är­gert mich das je­doch sehr, denn im­mer­hin hät­te er mir nach Kür­zung die­ser Wie­der­ho­lun­gen we­ni­ger Le­se­zeit gestohlen.

Viel­mehr hät­te ich we­ni­ger Le­se­zeit schen­ken müs­sen, dem Ro­man und dem Ber­lin Ver­lag. Die­ser hat­te an­läss­lich des Er­schei­nens ein vir­tu­el­les Le­se­pro­jekt in­iti­iert, an dem ich mit sie­ben wei­te­ren Blog­ge­rin­nen und Blog­gern teil­neh­men durfte.

Ich weiß nicht ge­nau, wel­che Vor­stel­lun­gen die an­de­ren Teil­neh­mer oder der Ver­lag hat­ten, ich hat­te an­schei­nend andere.

Zwar fand ich es in­ter­es­sant die Ein­zel­bei­trä­ge zu den Ab­schnit­ten zu le­sen. Al­ler­dings hat­te ich mir ei­ne stär­ke­re Dis­kus­si­ons­freu­dig­keit er­hofft. Manch­mal ent­wi­ckel­te sich ein Ge­spräch, bis­wei­len so­gar ein Dis­put, was durch­aus an­re­gend war, aber mit dem Ab­zug ei­ni­ger Teil­neh­mer abnahm.

Viel­leicht hät­te die Mo­de­ra­ti­on durch den Ver­lag dies ver­bes­sern kön­nen. Auf vie­le Fra­gen und An­re­gun­gen wur­de nicht ein­ge­gan­gen. Um ein sol­ches Pro­jekt sinn­voll durch­zu­füh­ren, muss man Zeit in­ves­tie­ren, sonst ist es für die Katz. Mit feh­len­der Zeit mag sich auch mein Ein­druck be­grün­den, daß nicht al­le Blog­ger die Bei­trä­ge ih­rer Kol­le­gen ge­le­sen haben.

Auch scheint mir Word­Press nicht die idea­le Form für ein der­ar­ti­ges Le­se­pro­jekt zu bie­ten. Ei­ni­ge au­ßen ste­hen­de Le­ser ha­ben sich bei mir über die Un­über­sicht­lich­keit beklagt.

Für das Pro­jekt fin­de ich das al­les sehr scha­de, denn an sich war es ei­ne sehr gu­te Idee.

Durch Ak­ti­on und Ro­man ha­be ich auf je­den Fall ei­nen Ein­blick in süd­afri­ka­ni­sche Ver­hält­nis­se er­hal­ten. Nicht zu­letzt auch durch die im Blog ge­pos­te­ten In­ter­views mit Na­di­ne Gor­di­mer. Ih­rem le­bens­lan­gen An­schrei­ben ge­gen so­zia­le Un­ge­rech­tig­keit und po­li­ti­sche Miß­stän­de zol­le ich gro­ßen Re­spekt, ih­ren The­sen be­geg­ne ich al­ler­dings lie­ber im In­ter­view oder Es­say.

8 Gedanken zu „gordimerlesen — Resümee eines Leseprojekts“

  1. Lie­be Atalante
    Zum Ro­man sel­ber kann ich nichts sa­gen, denn ich ha­be ihn nicht ge­le­sen und wer­de es wohl auch nicht tun. Über Süd­afri­ka im All­ge­mei­nen ha­be ich schon re­la­tiv viel ge­le­sen und selbst in mei­ner Ju­gend­zeit ei­ni­ges mit­be­kom­men, nicht zu­letztt durch ei­ne Süd­afri­ka­ne­rin (Misch­ling), die in un­se­rem Haus ge­wohnt hat, und durch ge­schäft­li­che Be­zie­hun­gen durch mei­nen Vater.

    Es braucht auch als Nicht­teil­neh­mer am Pro­jekt un­glaub­lich viel Zeit, wenn man die Posts der be­tei­lig­ten Blog­ger und die Kom­men­ta­re ver­fol­gen will. Ich ha­be nur we­ni­ge Ma­le rein­ge­schaut und dann wie­der auf­ge­hört mit­zu­le­sen. Es war mir ein­fach zu auf­wän­dig. Denn in der Zeit, die ich am PC sit­ze, le­se und kom­men­tie­re, geht mir wert­vol­le Le­se­zeit verloren.

    1. Wenn man den ent­spre­chen­den Ro­man nicht selbst ge­le­sen hat oder mit­liest, dann ist das In­ter­es­se an ei­nem be­glei­ten­den Le­se­pro­jekt nicht so groß. Im­mer­hin hast Du die An­fän­ge ver­folgt und Dich ja auch beteiligt.
      Mich wür­de in­ter­es­sie­ren, ob Dein nach­las­sen­des In­ter­es­se an dem Su­jet oder an der spe­zi­el­len Form des Dis­kus­si­ons­blogs lag.

  2. Das hört sich so an als wä­re die­ses Buch nicht das, was ich per­sön­lich von ei­ner No­bel­preis­trä­ge­rin er­war­ten wür­de. Der Satz, den Du in Dei­ner Re­zen­si­on zi­tiert hast, ist für mich Grund ge­nug von die­sem Buch erst ein­mal Ab­stand zu neh­men. Denn nichts regt mich mehr auf als schlecht lek­to­rier­te Bü­cher, von de­nen es lei­der viel zu vie­le auf dem Markt gibt. Aber, und hier kann ich mich nur wie­der­ho­len, von ei­ner Na­di­ne Gor­di­mer hät­te ich das nicht erwartet. 

    LG, Ka­ta­ri­na 🙂

    1. Gor­di­mer hat in ei­nem ih­rer jüngs­ten In­ter­views be­tont, daß sie ih­re Bü­cher nie ei­nem Lek­tor vor­le­ge. Selbst ih­rem Mann hat­te sie die­se bis zur Ver­öf­fent­li­chung vor­ent­hal­ten. Der Stil ist folg­lich ei­ne Fol­ge ih­res schrift­stel­le­ri­schen Selbst­be­wußt­seins. Lek­tor und Ver­lag ist dies nicht vorzuwerfen.
      Dei­ne Er­war­tungs­hal­tung ge­gen­über ei­ner No­bel­preis­trä­ge­rin ist ver­ständ­lich, Ka­ta­ri­na. Al­ler­dings ist der Li­te­ra­tur-No­bel­preis im­mer auch ein po­li­ti­scher Preis. Vor we­ni­gen Ta­gen hat sich da­zu Per Wäst­berg, Mit­glied des Ko­mi­tees, im Bü­cher­markt des DLF ge­äu­ßert, „Der rät­sel­haf­te Ho­ri­zont des Nobelpreises”.

  3. Da sieht man mal wie wich­tig der Be­ruf des Lek­tors ist. Auf dem heu­ti­gen Buch­markt wer­den ja im­mer mehr Self-Pu­blisher er­folg­reich, die oft gar nicht re­di­giert sind oder gar mehr als ei­nen Ent­wurf schrei­ben. Aber auch wenn man als Schrift­stel­ler ta­len­tiert ist, braucht man doch im­mer noch ei­nen, der da­für aus­ge­bil­det ist den Wald zu se­hen, wenn man selbst au­ßer Bäu­men nicht mehr viel wahrnimmt. 😉

  4. Wie ich Dich be­nei­de (ich weiß Neid ist ein Sün­de)! Du und auch Ma­ra habt die­se Zei­len schon nie­der ge­schrie­ben. Da­zu feh­len mir mo­men­tan die Ner­ven. Viel­leicht lass ich es noch ein we­nig sa­cken und be­sche­re dem Ber­lin Ver­lag im neu­en Jahr ei­nen Bei­trag. Bzgl. der Zeit hat­te ich wirk­lich nicht ganz auf dem Schirm was mich er­war­tet. Das Buch le­sen, ei­nen Bei­trag al­ler 2 Ta­ge schrei­ben, sie­ben Bei­trä­ge von den an­de­ren Pa­ten le­sen und ggf. noch Kom­men­ta­re pos­ten. Mit die­sem Pro­jekt hät­te ich mich glatt selbst­stän­dig ma­chen kön­nen. Das war zu­viel. Für Au­ßen­ste­hen­de, und ich ha­be auch mit vie­len dar­über ge­spro­chen, ist es ein­fach nicht in­ter­es­sant acht Bei­trä­ge zu je­dem Ab­satz zu le­sen. Höchs­tens noch, wenn man selbst das Buch liest aber neue Le­ser­schaf­ten (und das war si­cher auch ein Ziel vom Ver­lag) ge­winnt man da­durch nicht.
    Am En­de hat­te ich mich schon fast an Gor­di­mers Stil ge­wöhnt und Ja­bu und Ste­ve be­ka­men ganz lang­sam Zü­ge aber trotz­dem ist das Buch für mich (lei­der) durch­ge­fal­len. Die The­ma­tik an sich hat mich sehr in­ter­es­siert. Schade

    1. Dein Re­sü­mee wer­de ich mit In­ter­es­se le­sen, egal wann es erscheint.

      Die rich­ti­ge Form ei­ner sol­chen Un­ter­neh­mung zu fin­den, ist wirk­lich nicht ein­fach. Sie ist von so vie­len Din­gen ab­hän­gig, die sich manch­mal ganz an­ders ent­pup­pen als geahnt.
      Ich er­in­ne­re mich an der­ar­ti­ge Le­se­pro­jek­te, die sehr gut lie­fen, weil die Mo­ti­va­ti­on am Text sehr hoch war, weil al­le ein­zu­schät­zen wuss­ten, wel­cher Text auf sie zu­kommt und weil der Text nicht über­mäs­sig lang war. Je hö­her die Sei­ten­zahl, des­to hö­her die Verlustquote.

      An­de­re Un­ter­neh­mun­gen, wie sie auch heu­te noch auf di­ver­sen Platt­for­men lau­fen, be­stehen aus viel Pa­la­ver um die Be­schaf­fung des Tex­tes, be­vor dann der Wett­be­werb über die be­reits be­wäl­tig­ten Sei­ten­men­gen star­tet. Al­les Me­ta­kram, über die vor­lie­gen­de Li­te­ra­tur wird we­nig diskutiert.

      Auch im rea­len Li­te­ra­tur­kreis, et­was ähn­li­ches möch­te ein sol­ches Le­se­pro­jekt ja auch sein, be­steht im­mer die Ge­fahr, vom Rand des Tex­tes in Ge­plau­der ab­zu­rut­schen, das am En­de des Abends viel­leicht ganz nett war, aber mehr auch nicht.

      Die Zeit war das Pro­blem, auch der Ver­lags­blog­ger wird nicht so­viel zur Ver­fü­gung ge­stellt be­kom­men ha­ben, wie er viel­leicht ger­ne ge­habt hät­te. Das Gan­ze ist ja ei­ne fi­nan­zi­el­le Fra­ge. Wenn es kei­ne wä­re, hät­te man bei die­sem Pro­jekt fol­gen­de „Blog­ger” en­ga­gie­ren kön­nen, ei­ne Po­li­to­lo­gin, ei­ne His­to­ri­ke­rin, ei­ne Eth­no­lo­gin, ei­ne Süd­afri­ka­ne­rin, die Über­set­ze­rin, den Lek­tor (den es im Ge­hei­men si­cher­lich doch gibt) und ei­ne Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin. Aber wen hät­te dann noch die Mei­nung von uns Blog­gern in­ter­es­siert? 😉 Okay, wenn man sich die Sta­tis­tik an­sieht, ge­nau­so vie­le wie jetzt. 😉

  5. Lie­be Atalante

    Wahr­schein­lich liegt es an bei­dem, am Dis­kus­si­ons­blog und am Buch. Ich hat­te ein­fach kei­ne Lust mehr, mei­ne Zeit in et­was zu in­ves­tie­ren, das mich nicht wirk­lich mit­reisst. Für das Buch, nach­dem ich mit­be­kom­men hat­te, dass es die meis­ten nicht mö­gen, hat­te ich dann auch kein In­ter­es­se mehr. Ich bin froh, dass ich beim Pro­jekt nicht ein­ge­stie­gen bin, nach­dem ich jetzt noch den Kom­men­tar von der Bü­cher­lieb­ha­be­rin ge­le­sen habe.

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